Von Schulmeistern Peithmann im alten Amt Bückeburg (20.9.1997)

 Von Schulmeistern Peithmann im alten Amt Bückeburg

Johann Christoph Peithmann (1737 – 1808) und Ernst-Wilhelm Peithmann (1774 – 1810)

Schule halten vor 200 Jahren

 „Lehrer, die wir hatten“ ist der Titel eines Buches von Ernst Heimeran, das seit fast einem halben Jahrhundert in einer Auflage von mehreren Zehntausend erschienen ist. „Lehrer, die wir hatten“! Könnte nicht auch jeder einzelne von uns darüber seine Geschichte erzählen? Und wenn zwei Personen von denselben Lehrern unterrichtet worden wären, die Erinnerungen und Einschätzungen fielen ganz unterschiedlich aus, so individuell, so eigentümlich ist jedes einzelne Lehrer-Schüler-Verhältnis. Ernst Heimeran schreibt im Vorwort seines Buches: „Vielleicht freut es sie, die in den ewigen Ruhestand versetzten, wahrzunehmen, wie tief sie sich dem Gedächtnis ihrer Schüler eingeprägt haben“.

 Es steht auch uns im Familienverband an, uns an die Lehrer zu erinnern oder ihre Namen gar erst in die Gegenwart zu rufen, die Peithmann hießen. Denn in den letzten viereinhalb Jahrhunderten sind aus unseren Familien in Deutschland und Amerika mindestens 25 Lehrer hervorgegangen – vom Lateinschullehrer Statius Peithmann, der bis 1562 in Stadthagen lebte, bis hin zu unserem zweiten Vorsitzenden Armin Peithmann, der als Studienrat in der beruflichen Bildung tätig ist. Bei der Ermittlung der Anzahl habe ich einen weiten Lehrerbegriff zugrunde gelegt, habe Professoren, Rektoren und geistliche Lehrer ebenso berücksichtigt wie Schulmeister im engeren Sinne. „Lehrer Peithmann“ – da kommen uns zuallererst Persönlichkeiten aus diesem Jahrhundert in den Sinn. Etwa Ludwig Peithmann, der Vater von Dr. Ludolf in Hagen, Lehrer in Obermehnen und Seelenfeld, später Fabrikant in Bünde-Spradow. Leo Peithmann, der Vater von Günther und Eckart, zuletzt Lehrer in Kiel, einer unserer ersten Familienforscher. Herbert Peithmann aus Frotheim, Lehrer in Espelkamp, der uns in der Kirchenbuchforschung sehr unterstützt hat. Rolf Peitmann, Lehrer in Stadthagen, Mitglied unseres Beirates; bei ihm und seiner Frau Lilly waren wir oft und gern zu Gast.

 Doch auch Namen von Schulmeistern, die in früheren Jahrhunderten lebten, können wir nennen, so Anton Dietrich Peithmann in Wathlingen bei Celle oder Zacharias Peithmann auf der Ostseeinsel Fehmarn; beide wirkten um 1650.

 Schauen wir uns unseren Familienbaum an, so erkennen wir, daß die Lehrer recht gleichmäßig über die Zweige verteilt sind. Sicher, auf dieser und jener Tafel sucht man vergeblich nach einem Namen, dafür finden wir an einem anderen Ast aber gleich fünf – keine Frage, daß wir uns d i e s e n nun eingehender widmen müssen.

 Es handelt sich um Nachfahren von Pastor Hermann Peithmann in Bad Nenndorf, verzeichnet auf den Tafeln 9 und 10 unserer Festschrift, Nachfahren von dem ersten Pfarrer in unseren Familien, dem wir unseren vorjährigen Familientag gewidmet haben. Da trifft es sich gut, daß wir die Reihe der Familientage heute mit dem Blick auf seine Nachkommen fortsetzen.

Doch es ist ein großer Sprung von Pastor Hermann, der 1626 starb, über seinen Sohn Cord in Apelern und den Enkel, Schulmeister in Groß Hegestorf und Soldorf im damaligen Amt Rodenberg, über den Urenkel Cord Hermann Henrich, ebenfalls Schulmeister in Soldorf, zu seinem Ururenkel Johann Christoph Peithmann, der von 1737 bis 1808 lebte. Ihm und seinem Sohn Ernst Wilhelm, beide Schullehrer in der Zeit vor 200 bis 250 Jahren, soll unsere Aufmerksamkeit gelten.

Johann Christoph wuchs als 5. Kind in einer achtköpfigen Geschwisterschar im Soldorfer Schulhaus auf. Mit 24 Jahren heiratete er die um ein Jahr ältere Tochter des Ziegelmeisters Johann Harm Schweer von der Ziegelhütte in Rusbend im Amte Bückeburg, Margaretha Elisabeth Charlotte.

In der Wartezeit bis zu seiner Berufung in den Schuldienst lebte er mit seiner Familie auf der schwiegerväterlichen Ziegelhütte, in der er sicher mitarbeitete. Zwei Jahre später war es soweit; die Schulmeisterstelle in Rusbend wurde frei. Die Ernennungsurkunde an den Superintendenten Meyer zu Stadthagen, als dem obersten Vorgesetzten aller schaumburg-lippischen Schulmeister, lautet: „Von Gottes Gnaden, Wir, Wilhelm, regierender Graf zu Schaumburg, Graf und Edler Herr zur Lippe und Sternberg, Unseren Gnädigen Gruß zuvor, Wohlehrwürdiger und Hochgelehrter, besonders lieber Getreuer! Euch wird erinnerlich sein, wie bei letzter Consistorial-Session (= Sitzungsperiode des Ratskollegiums der Landeskirche) bei Absterbung des Rusbender Schulmeisters Senf, diese Bedienung hinwieder dem Johann Christoph Peithmann conferiret (= übertragen) sei. Ihr habt also denselben zu seiner Zeit zu introduciren (= einzuführen) und denen Rusbender Eingesessenen solches bekannt machen zu lassen. Wonach Ihr Euch zu achten. Bückeburg, den 15ten Juli 1763.“

 Dreizehn Jahre tat Johann Christoph Peithmann Dienst in Rusbend. Aus der Rusbender Schulchronik erfahren wir Näheres. Peithmann war hier der 5. Schulmeister. Als die Schule 1737 gegründet worden war, stiftete der damalige Graf Albrecht-Wolfgang von Schaumburg-Lippe „ein Kapital von 400 Thalern für die neu anzulegende Schule zum Rusbende. Das Kapital soll zu 5 % verzinset werden, und dem jeweiligen Schulmeister zum Rusbende sollen Zinsen zu Michaely – also Ende September – und zu Ostern ausbezahlet werden“. Peithmann bezog somit an barem Gelde 20 Taler aus den Kapitalzinsen, dazu kamen noch etwa 20-24 Taler jährlich aus den Einnahmen der sogenannten Informationsgebühren von den Schülereltern, also Schulgeld.

Zur Kaufkraft des damaligen Geldes: 1 Reichstaler hatte den Wert von 36 Mariengroschen. Eine Kuh bekam man für 20-30 Reichstaler, ein dreijähriges Pferd für 30 Reichstaler. Ein großes Brot kostete einen Mariengroschen.

 Peithmann hatte bis zu 30 Schüler zu unterrichten, die aus den beiden Dörfern Rusbend und Schierneichen kamen. Es war ein recht schlecht bezahlter Schuldienst, zu dem der zuständige Pastor und Ortsschulinspektor bemerkte: „Er könnte verbessert werden durch einige Saatländereien und eine Wiese.“ Aber erst Peithmanns Nachfolger kam in diesen Genuß.

 In den ersten Jahrzehnten wurde in Rusbend in einem Privathause Schule gehalten. Erst 1764, als Peithmann kam, errichtete man ein Schulhaus. In der Chronik der Schule steht: „Es wurde aus Holz gebauet und mit Ziegelsteinen gedecket. Es war 30 Fuß lang und 20 Fuß breit (also 9,4 m mal 6,3 m groß) und enthielt 1 Wohnstube und 1 Schulstube, 4 Kammern und 1 Boden.“

„An der Erde“, d. h. im Erdgeschoß, waren die Schulstube und die Wohnstube sowie 2 Kammern, also 4 Räume, alle auf einer Fläche von einem heute mittelgroßen Klassenraum.

 30 Kinder saßen dicht aufeinander, im wahrsten Sinne des Wortes, in einer Stube von der Größe eines heutigen kleinen Wohnzimmers. Zudem gab es im Rusbender Schulhaus noch äußere Mängel: Die Stuben nebst den beiden Kammern an der Erde waren „nicht beschossen“, d. h. sie hatten Lehmboden, nämlich nur die Erde, auf der das Haus stand. Eine Kammer oben war wegen des löcherigen Fußbodens ganz unbrauchbar. Von dem Boden war nur der 3. Teil beschossen, der übrige lag offen. Der Garten am Hause hatte eine Größe von 50 Ruthen (etwa 7 Ar); der sehr schlechte, „leimigte“ Boden brachte nur geringe Ernten.

 Waren es diese miserablen äußeren Umstände – geringes Einkommen, dürftige Wohnung – , die Johann Christoph Peithmann zum Wechsel des Dienstortes bewogen? 1777 wurde er an die Schule im ebenfalls im Amte Bückeburg gelegenen Achum versetzt. Hier verbrachte er seine längste Dienstzeit.

In unserem Peit(h)mann-Archiv befindet sich auch eine Kopie der Versetzungsurkunde des Grafen Wilhelm vom 14. Juni 1777. Sie ist wiederum an den „Wohlerwürdigen und Hochgelehrten, besonders lieben Getreuen“ Superintendenten gerichtet. Nun eine Frage an die Zuhörer: Wie heißt dieser vorgesetzte Amtsbruder der Pfarrer im Jahre 1777? „Peithmann“ – einfacher könnte die Antwort nicht sein. Aber wie lautet der Vorname?

Es ist Christoph Bernhard Ludwig Peithmann, vorher Pastor in Steinhude, nun Superintendent in Bückeburg, also Vorgänger des heutigen Schaumburg-Lippischen Landesbischofs. Für den Familienforscher ist das eine doppelte Freude, wenn er auf der Suche nach Schulmeistern Peithmann im Staatsarchiv über Schulakten sitzt und ihm unerwartet auch ein anderer Peithmann ins Blickfeld gerät.

Absicht oder nicht? Der „kleine“ Schulmeister „Peitmann“ wird in der Urkunde nur mit „t“, der gleichnamige geistliche Vorstand der schaumburg-lippischen Landeskirche mit „th“ geschrieben – eine bewußte Abgrenzung? – In allen seinen Briefen schreibt sich der Schullehrer sonst mit „th“.

In Achum traf Johann Christoph Peithmann tatsächlich auf bessere äußere Zustände. Zu den 20 Reichstalern gräflichen Gehalts kamen hier u. a. noch folgende Einnahmen:

  • „Jahres-Schulgeld 1 Reichsthaler“ (pro Schüler – bei 25 Kindern).
  • „Nachgehen einer Leiche (mit singenden Kindern) 12 – 15 
    Groschen (je nach Entfernung)“.
  • „Wenn ein Kind erstmahl in die Schule kömmt 3 Groschen“.
  • „Wenns ins andere Buch kömmt (d. h. innerhalb der Schule aufrückt) 1 Groschen“.
  • „Zu Weihnachten geben sie (die Bauern) das Holtzgeld (je!) 3 Groschen. Das Holtz muß der Schulmeister theuer kauffen.“
  • „Zu Ostern gibt ein Kind vier Eyer.“

 Das geldliche Einkommen des Schulmeisters bestand also aus drei Sparten:

  1. Gehalt vom Grafen,
  2. Schulgeld der Eltern und
  3. Zuwendungen aus Gebühren für besondere Dienste.

Dazu gab es Naturalien und Land zur eigenen Bewirtschaftung.

 Nun zum Schulalltag des Johann Christoph Peithmann. Im Bückeburger Staatsarchiv fand sich ein sogenannter Lektionsplan für die damaligen Landschulen Schaumburg-Lippes. Mit Ausnahme von Mittwoch und Samstag, da nur bis 11 bzw. bis 10 Uhr unterrichtet wurde, dauerte die tägliche Schulzeit von 8 Uhr bis 15 Uhr. Als Beispiel stelle ich den Lektionsplan für Montag und Donnerstag vor:

 8 – 9 Uhr : Gesang und ein kurzes Gebet

Wiederholung der Predigt (vom Sonntag) oder

Catechismuslesen

Religionsunterricht

9 – 10 Uhr : 1. Klasse schreibt

2. Klasse malt Buchstaben an die Tafel

3. Klasse lernt Buchstaben und Buchstabieren

2. Klasse buchstabiert und fängt an zu lesen

3. Klasse könnte schreiben

10 – 11 Uhr : Bibel und Evangelienbuch

1 – 2 Uhr : Naturgeschichte aus Seilers Lesebuch

2 – 3 Uhr : Rechnen und Zahlenkenntnis

Gesang

 Interessant ist auch das Unterrichtsprogramm für Samstag:

 8 – 9 Uhr : Generalrepetition (= Wiederholung) aller Lektionen der Woche. Die Fleißigen werden                              gelobt und sie werden aufgesetzt (in der Bankreihe einen Platz weiter). Wer ohne Grund                          nicht da wäre, käme einige Stätten (Plätze) hinunter (= wird zurückgestuft). Ein Mittel zur                        Förderung eines fleißigen Schulbesuchs.

9 – 10 Uhr : Übung im Singen

                   Gesänge

                   Volkslieder

 Können wir uns nun eine Vorstellung davon machen, wen, was, wann, wo und wie Johann Christoph Peithmann unterrichtet hat, so fehlt noch die Antwort auf w o m i t ! Unterrichtsmedien – heute ein schier unerschöpfliches Thema mit einer nicht mehr übersehbaren Flut von Möglichkeiten, bis hin zu Multimedia und Internet. Und damals? Die Achumer Schule hatte gerade mal vier Bücher, die Minimalausstattung in schaumburg-lippischen Schulen:

 Gesundheitskatechismus,

Der Kinderfreund,

Seilers Lesebuch,

Erste Grundlage, Erstfragen und Schulgebete.

 Schule ist und war schon immer ein Feld für Auseinandersetzungen zwischen Beteiligten, gesellschaftlichen Gruppen und Vertretern politischer Richtungen. Welche Konflikte spiegeln sich in den Dokumenten aus der Zeit und aus der Umgebung Johann Christoph Peithmanns wider?

 Ein Streitpunkt war der Schulbesuch. Ich zitiere aus einer Verfügung des Superintendenten:

 „Bei den anhaltend säumigen Eltern ist der Zwang des Amtes das einzige Mittel“, „Eine gewisse Geldstrafe, etwa 4 Groschen für je ohne Ursache versäumte Schule, für die Vermögenden, und der Straf- oder bey ganz hartnäckigen der Kirchen-Pfahl mögten woll die beste Wirkung thun.“

„Der Pastor Berger bittet, daß die Strafgelder der säumigen Eltern nicht ferner zur Anschaffung der Feuer-Eimer, sondern zur Anschaffung der nötigen Schulbücher für arme Kinder oder sonst zu ihrem besten angewendet werden mögte.“ – Also: Je weniger Kinder zur Schule geschickt wurden, desto besser erging es der Feuerwehr.

 Weitere Strafen für Eltern waren Ausschluß vom Patenamt bei Kindtaufe oder Ausschluß vom Amt eines Brautführers bei Hochzeit. Es hat offensichtlich einige Zeit gedauert, bis Pastoren dahinter kamen, daß etliche Eltern ihre Kinder wohl mit Absicht nicht in die Schule schickten, um genau diese Strafen auferlegt zu bekommen. Eine willkommene Möglichkeit, die teuren Tauf- und Hochtzeitsgeschenke zu umgehen! Der Superintendent gibt dann auch zu: „Sie (die Strafen) werden für keine Strafen angesehen, weil die Leute die damit verbundenen Lasten gerne ersparen.“

 „Der Pastor Peithmann in Frille (es ist der Sohn des eben erwähnten Superintendenten Christoph Bernhard Ludwig Peithmann, Friedrich David, – wieder eine Querverbindung zu einem anderen Namensträger), der Pastor Peithmann in Frille beschwert sich, daß einige Eltern ihre Kinder nur erst mit 7 vollen Jahren in die Schule schicken wollten, da doch in der Schulordnung § 2 das volle 6te Jahr festgesetzt wäre und bittet sich darüber Erklärung aus. Auch beschwert er sich über Johann Tönnies Kinder zu Cammer, daß er einen völlig gesunden Knaben, welcher vier Wochen vor Michaelis schon 7 volle Jahre alt gewesen, ohnerachtet aller Erinnerungen, gar nicht zur Schule senden und bittet um oberlichen Beistand.

Im Sommer wird die Besuchung der Schulen, wie im Winter, nicht durchzusetzen sein. Nach der Schulordnung sollten in jedem Dorf Viehhirten sein, um den Eltern den Vorwand, daß die Kinder das Vieh hüten müßten, zu benehmen. Dies ist aber an allen Orten nicht möglich, weil alle Dörfer keine gemeinsame Hude (Weide) haben. Die Landleute haben im Sommer außerdem viele Arbeiten, wozu sie die Kinder gebrauchen. In der Schulordnung ist ihnen nachgegeben, daß sie die Kinder, welche über 10 Jahre sind, im Sommer nur zweimal in die Schule senden dürfen, und von 6 bis 10 Jahren sollen die Kinder nur unausgesetzt (also immer) kommen. Aber die Landleute brauchen ihre Kinder schon vom 7ten Jahr an zu allen Arbeiten, und das Gesetz ist n i e zur Beachtung gekommen, weil die beiden Tage, an welchen die Großen kommen sollen, nicht bestimmet sind. Wegen dieser Schwierigkeiten sind an manchen Orten die Schulen den ganzen Sommer geschlossen. Hie und da ist die Einrichtung gemacht, daß morgens von 7 bis 9 die Kleinen, und die Größeren, welche zu Arbeiten gebraucht werden, von 10 bis 12 täglich zur Schule kommen. Um 9 Uhr kommen die Größeren mit dem Vieh, dem Pfluge oder sonst von ihrer Arbeit zum Frühstücken nach Hause. Wenn auf den Genuß desselben und auf den Weg nach der Schule 1 Stunde gerechnet wird, so können sie um 10 Uhr in die Schule und vor dem Anfange der Nachmittagsarbeit zum Mittagessen wieder zu Hause seyn, wie die weitesten etwas eher beurlaubt werden. Diese 4 Schulstunden täglich sind alles, was sich im Sommer auf dem Lande bis auf die Erntezeit, worin Ferien sind, wird durchsetzen lassen. Traurig ist es, daß die meisten Kinder bisher im Sommer fast alles vergessen, was ihnen im Winter mit viel Mühe beigebracht ist.“

 Klagen gab es auch über die Abwesenheit von Lehrern: „Also, es konnte auch vorkommen, daß hin und wieder die Küster und Schulmeister sich unter währenden Schulstunden ganze Stunden lang von den Kindern absentierten (sich aus den Klassenräumen entfernten) und ihren häuslichen Geschäften nachgingen oder wohl ihre etwa gelernte Profession trieben (d. h. ihrem alten Beruf nachgingen, wie z. B. als Schneider in der Wohnstube nebenan), indessen aber die Kleinen von den großen Schulkindern lesen und überhören ließen; solches aber der Jugend höchst nachteilig ist; also wird denen sämtlichen Schulbedienten solches hierdurch aufs ernstlichste verboten. Da auch endlich einige Schulmeister zuweilen ganze halbe Tage weggehen und die Schule versäumen, ohne daß sie ihren Predigern (als Ortsschulinspektoren) es vorher angezeiget und sich die Erlaubnis dazu erbethen: als(o) wird denen sämtlichen Schulbedienten hiermit ernstlich anbefohlen, die Schulordnung § 12 in Zukunft nachzuleben; widrigenfalls aber zu gewärtigen, daß sie wegen ihrer Nachlässigkeit zu gebührender Strafe auf geschehenen Anzeigen derer Herren Prediger gezogen werden.“

 Bei der wiederholt angesprochenen Landschulordnung handelt es sich um die des Grafen Albrecht-Wolfgang aus dem Jahre 1733 bzw. um die des Grafen Wilhelm aus dem Jahre 1777.

 Schüler als willfährige und billige Arbeitskräfte für Lehrer – ein anderer Mißbrauch. Superintendent Dolle in Stadthagen schreibt an seine schaumburg-lippischen Amtsbrüder:

„Nachdem von verschiedenen Gemeinden bey mir angezeiget worden, daß ihre Schulmeister die Schüler unter währenden Informationsstunden (d. h. während der Unterrichtsstunden) zu ihrer eigenen Arbeit als Holtzsägen, Graben und dergleichen gebrauchen und folglich dadurch die Kinder versäumeten, solches aber unserer Schulordnung gäntzlich zuwider und denen Kindern zum großen Nachttheil gereichet, also wollen Euch Hochwohl und Ehrenwerte ihro unter habenden Küstern und Schulmeistern solches gewissenlose Verfahren ernstlich untersagen und die darin gleichwohl Beharrenden ohnverzug pflichtmäßig bey mit anzeigen, um solche höheren Orths zur nachdrucklichen Bestrafung anzugeben. Damit auch solche mit der Unwissenheit sich nicht entschuldigen mögen, so sollen die Küster und Schulmeister jedens Orths dieses Circulare (= Rundschreiben) unterschreiben und davon Copian (= Abschriften) nehmen.“

 Zurück zu Familie des Schulmeisters Johann Christoph Peithmann, von dem bei den vorgenannten Dienstvergehen nie die Rede war. Seine Frau Margretha Elisabeth Charlotte Schweer gebar ihm in der Zeit von 1762 bis 1781 mindestens 7 Kinder. Da er ja in dritter Generation des Schulmeisteramt innehatte, lag es nahe, daß mindestens zwei seiner Söhne die Tradition fortsetzten.

Graf Wilhelm war 1777 ohne Erben gestorben. Die Regierung ging an seinen Vetter Philipp Ernst über, der bereits nach 10 Jahren auch verstarb. Die Geschäfte führte nun dessen Frau Juliane. Am 06. April 1791 stellte Johann Christoph Peithmann einen Antrag bei der Gräfin Juliane. Den Text des Briefes möchte ich vorlesen, da wir in diesem Schriftstück viel über Familie und Lebensverhältnisse erfahren:

 „Durchlauchtigste Fürstin! Gnädigstregierende Fürstin und Landes-Mutter!

Da ich bereits allhie im Lande bis ins 30te Jahr als Schulmeister auf kleinem Dienste gestanden. Und der Höchste mir auch mit 7 Kindern gesegnet, wovon noch 5 im Leben. Unter diesen finden sich 3 Knaben, wovon der Ältere 17 und der folgende 13 1/2 Jahr ist. Mir, meiner Frau und erwähnten Kindern fället also das Leben sehr schwer, besonders jetzt, da meine Jahre merklich zunehmen, indem ich schon die 60 erreichet und mein Gesicht und Gehör den Anfang zu verlieren nehmen.

Also ergehet meine ganz unterthänige Bitte an Eure Fürstliche Durchlaucht, dieselbe wollen gnädigst geruhen und meinen ältesten Sohn, weil er im Schreiben und Rechnen ziemlich geübet, und auch sonst im Nothfall diesen meinen geschenkten Dienst ohne Versäumnis gut versehen, als Seminarist anzunehmen.

Sollten zuvorst Examen ergehen, dieselben will er sich gerne gefallen lassen. Deren denn die Kosten der Schule zu Bückeburg sind mir unerträglich und dieser mein Ältester, wie auch der folgende Sohn, haben nicht Lust zum geistlichen Stand.

Ich ergebe also mich meine beiden Söhne

  1. nahmes Ernst Wilhelm und
  2. nahmes Johann Henerich

in die Aufsicht und Vorsorge Eurer Fürstlichen Durchlaucht Gnade, doch gnädigst auf uns zu reflectieren. Jenen höchst geneigt zum Seminarist und diesen höchst beliebigst anzusehen. Meine Söhne werden hoffentlich den möglichsten Fleiß anwenden, besonders jetzt zuvor der Älteste, um die eifrigste und treueste Bemühung seiner Obliegenheiten sich solcher Gnade werth zu machen. In Hoffnung einer gnädigsten Gewährung dieser meiner unterthänigsten Bitte, und in aller tiefester Unterwerfung der gnädigsten Erhörung ersterbe Eurer Fürstlichen Durchlaucht ganz unterthänigster Knecht Johann Christoph Peithmann, Schulmeister in Achum, 06.04.1791″.

 Wer in Schaumburg- Lippe Schulmeister werden wollte, mußte das Lehrerseminar in Bückeburg erfolgreich absolvieren – die Vorstufe für die heutige akademische, universitäre Lehrerbildung. Voraussetzung für die Aufnahme war entweder der Besuch der Bürgerschule in Bückeburg oder eine dem Abschluß gleichwertige Aufnahmeprüfung. Erstes kam für Johann Christoph Peithmanns Sohn aus finanziellen Gründen nicht in Frage.

 Der Antrag an die Fürstin wurde an das zuständige Schaumburg-Lippische Konsistorium weitergeleitet; und von diesem erging dann am 11. Mai 1791 die Vorladung Ernst Wilhelms zur Prüfung. Mit ihm zusammen wurden zwei weitere „Subjekte“ – also Anwärter – geprüft. Im Bericht des Konsistoriums heißt es: „… und zwar jeder von denen allein und besonders in denjenigen Kenntnissen, worüber bisher die Kompetenten (ein damaliger Ausdruck für Mitbewerber) zur Aufnahme in das Seminarium examiniert sind, nämlich über die ersten Grundsätze der christlichen Religion, im Lesen, Schreiben nach geschehenem Dictiren und in den Anfangsgründen der Rechenkunst.“

„Nach der Prüfung gab der Pastor Berger seine Meinung dahin ab, daß nach seinem Dafürhalten alle drei obgenannten Examinatis dazu hinlänglich fihig und qualifizieret seien, um in das hiesige Seminarium aufgenommen und zu Schulmeistern gebildet zu werden. Für den fähigsten und offensten Kopf unter den dreien halte er den jungen Beckmann aus Sülbeck.“

 Den Ausschlag, daß man sich letztlich für diesen entschied, war dann ein persönlicher, familiärer Grund dieses Kandidaten. Ernst-Wilhelm Peithmann hatte das Nachsehen.

 Für den Vater Johann Christoph muß das eine schwere Enttäuschung gewesen sein. Er wurde schwächer und schließlich immer öfter krank. Hatte es schon mit dem Ältesten, Ernst Wilhelm, nicht geklappt, so konnte er für den Zweiten, Johann Heinrich, erst recht nicht darauf hoffen, irgendwann einmal vom Seminar aufgenommen zu werden. In dieser Notlage mußte er ihn in eine Schneiderlehre geben.

 Es sei erlaubt, uns einen Moment von den Schulmeistern abzuwenden und einen Blick auf die Nachfahren dieses Johann Heinrich Peithmann zu werfen. Er wurde Schneidermeister in Achum und Vehlen und hatte mit seiner Frau Dorothee Sophie Notholz 5 Kinder. Er begründete eine über drei Generationen führende Bergmann-Tradition in unseren Familien. Bis heute besteht dieser Zweig, zu dem u. a. die Familie des Horst Peithmann in Obernkirchen und die Familie von Inge Peithmann, verh. Lange, in Stadthagen zählen.

Auf den Tafeln 10 und 11 sind die Namen aller hierher gehörenden Personen verzeichnet.

 Zurück in das Jahr 1792. Wer sprang für den erkrankten Schulmeister Johann Christoph Peithmann ein? Kein anderer als der vom Seminar abgewiesene Sohn Ernst Wilhelm. Dieser schrieb am 27. Februar einen Bittbrief an die Gräfin Juliane und an den mitregierenen Reichsgrafen von Wallmoden-Gimborn als Vormund ihres erbberechtigten Sohnes Georg-Wilhelm. Es ist ein Brief, der uns die bedrängte Lage der Familie deutlich vor Augen führt:

„Eure Fürstliche Durchlaucht und Hochgräfliche Gnaden wollen gnädigst zu erlauben geruhen, daß ich als dero geringster Diener mich bedreisten dürfe, folgende Bitte vorzutragen: Vor etwa drey viertel Jahren meldete ich, nahmens Ernst Wilhelm Peithmann, zu Achum, alters 18 Jahre, mich zu dero gehorsamsten Knecht zum Seminarium, wurde darauf von Herrn Prediger zu Steinbergen examiniert und habe mir im Schreiben, Rechnen und Orgel-Spielen möglichst geübt. Da nun jetzt durch den Sterbefall des Küsters zu Petzen eine Stelle wird los gelassen werden, und dazu mein alter Vater, welcher schon 31 Jahre hiesigen Landes als Schulmeister gedienet, bereits schon drey Wochen schwerlich krank darnieder lieget, und unserer Kinder noch 4 unversorget im Leben sind benebst unserer auch schon alt und schwächelnden Mutter, daß also fast unserer Hoffnung zur völligen Genesung unseres Vaters woll erloschen, so nehme ich meine nochmalige Zuflucht zu Eurer Fürstlichen Durchlaucht. Höchst dieselbe möchten und wollen doch die Landesmütterliche Gnade erzeigen und mir auch ein klein bißchen Brot gnädigest zufließen zu lassen, damit doch meine schwächliche Mutter und übrigen 3 Geschwister ihren Aufenthalt bei mir in der Folge nehmen könnten. Solche Hohe Gnade werde Zeit Lebens nicht ermangeln Dank und gehorsamlich zu erehren. Ich ergebe mich also in Eure Fürstliche Durchlaucht Gnädiges Angedenk, der ich in tiefster Ehrfurcht beharrlich ersterbe.“

 Eine Antwort seitens der Regentin oder des Konsistoriums auf diese Anfrage, mit der – wie ich finde – beeindruckenden Schilderung der Not in dieser Familie, blieb offensichtlich aus.

 Dafür wiederholt nach 1¼ Jahren der vorübergehend genesende Vater Johann Christoph Peithmann seinen Aufnahmeantrag für den Sohn Ernst Wilhelm im Seminar.

 In dem am 22. Mai 1723 geschriebenen Brief erinnert er daran, daß sein Sohn „vom Consistorio bereits zweymal examinieret worden“ und jetzt 20 Jahre alt sei und daß er „künftig als Schullehrer dem Staat nütztlich“ sein möchte.

Wir lesen in der Konsistoriums-Akte:

„Ernst Wilhelm Peithmann, Sohn des Schulmeisters Peithmann zu Achum, fand sich heute mit seinem Vater bey mir ein, um sich in Ansehung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten, mit denen er in das hiesige Seminarium aufgenommen zu werden hofft, einer nochmaligen Prüfung zu unterwerfen.

Er zeigte, so weit es ihm seine Schüchternheit erlaubte, daß er einige Fragen, die den Religionsunterricht betrafen, recht gut zu beantworten verstände. Ganz ohne Anstoß zu lesen und angenehm zu lesen, war er nicht im Stande. Im Schreiben hat er sich, wie beiliegende Probe zeiget, wenig gebessert. Das Rechnen ging etwas langsam. Der Unterricht im Klavierspielen, den er bisher genossen, scheint mir für ihn weit mehr nachtheilig als vorteilhaft zu seyn. Überhaupt konnte ich keiner anderen Meinung seyn, als sich nur dann etwas von dem jungen Menschen würde hoffen lassen, wenn ihm Gelegenheit zu einer besseren Anweisung, etwas zu lernen, verschafft werden könnte. Bei dem gegenwärtigen Unvermögen des Vaters aber scheint diese Hoffnung sehr gering zu seyn.

Bückeburg, 4. Juni 1793.“

 Daß Ernst Wilhelm die Aufnahmebedingungen für das Studium im Seminar ohne ordentliche schulische Vorbereitung nicht würde erfüllen können, war nunmehr allen Beteiligten klar. Doch der Besuch der zuständigen Bürgerschule in Bückeburg – als Präparandenanstalt für das Seminar – scheiterte jetzt erst recht daran, daß der alte, kranke Vater die Gebühren nicht bezahlen konnte. Doch das Konsistorium hatte in Einsehen und gewährte ein Stipendium, und zwar von Ostern bis Michaeli 5 Reichstaler und von Michaeli bis Weihnachten noch einmal 2 Reichstaler und 18 Groschen.

 Dann, Anfang Januar 1795, wurde ein Seminarplatz frei. Sofort bemühte sich Johann Christoph Peithmann für seinen Sohn um diese Stelle. Achten wir auf die nach den vielen Absagen nun besonderen Formulierungen im Text:

 „Durchlauchtigste Fürstin, Gnädigst regierende Fürstin und Frau! In tiefster Unterthänigkeit wage ich es, Eure Durchlaucht, diese meine demüthige Bittschrift zu Höchst dero Füßen zu legen. Mein Sohn Ernst Wilhelm Peithmann hat sich nun bereits eine Zeitlang – um sich zu einem Schulmeister zu bilden – als Schüler in Bückeburg aufgehalten, die in diese Hinsicht für ihn passenden Lehrstunden daselbst besuchet, und Eure Durchlaucht haben ihm während der Zeit auf eine so gnädige Unterstützung angedeihen lassen, welche ich mit der ehrfurchtsvollen Dankbarkeit zeitlebens verehren werde.

 Da nun der Seminarist Kuhlmann verstorben ist, und es mir herzlich sauer fällt, von meinen kürzlichen (= kurzen, geringen) Einkünften die übrigen noch fehlenden Bedürfnisse meines Sohnes, welchem hoffentlich sein Lehrer und Vorgesetzter in Ansehung seines Fleißes und guten Betragens gewiß ein rühmliches Zeugnis beilegen werde, zu bestreiten, so überwindt ich mich, Eure Durchlaucht unterthänigst zu bitten, daß Höchst dieselbe geruhen möge, ihn unter die Zahl der Seminaristen aufzunehmen, und die damit verbundenen Einkünfte ihm allergnädigst fließen zu lassen.“

 Wieder wird Peithmann zur Prüfung aufgefordert, die er zum vierten Mal über sich ergehen läßt, nach all den Zurückweisungen, demütigenden Beurteilungen, verletzenden Einschätzungen. Spätestens an dieser Stelle des jahrelangen Verfahrens gebührt unserem Vorfahren Anerkennung und Bewunderung für seinen Mut und seine Durchhaltekraft.

Nun das Urteil über das Ergebnis seiner neuerlichen Prüfung, auch aus der Feder des Konsistorialrates, der ihn so abgekanzelt hatte.

 Am 22.01.1795 lesen wir:

„Durch den Tod des Seminaristen Kuhlmann ist eine von den untersten Lehrerstellen in der hiesigen Bürgerschule erlediget worden, deren baldige Wiederbesetzung durch die anhaltende Krankheit des Seminaristen Wagner noch dringender gemachet wird. Unter allen jetzt vorhandenen auf unserem Seminarium befindet sich keiner, der nach meinem Urtheile und nach dem einstimmigen Zeugnisse aller Lehrer dazu fähiger wäre als Peithmann, der Sohn des Schulmeisters zu Achum. Durch ungewöhnlichen Fleiß hat sich dieser junge Mensch, der anfänglich so wenig unterrichtet war, selbst über (seine Konkurrenten) hinausgearbeitet, und er ist bisher schon nicht selten in der Klasse gebrauchet worden. Er konnte anfänglich gar nicht schreiben, jetzt verspricht er, wie die anliegende Probe zeiget, eine sehr gute Hand. Im Rechnen schien er anfänglich nicht viel zu begreifen, jetzt rechnet er besser als andere. Mit gleichem Eifer hat er sich in allen übrigen hervorgetan. Wenn bei der gegenwärtigen Veränderung Stange an Kuhlmanns Stelle mit 30 Reichsthaler Gehalt angestellt wird, so könnte Peithmann als 3tr Seminarist mit 20 Reichsthaler Gehalt einrücken, und die 10 Reichsthaler, welche Peithmann bisher genossen hat, könnten dem jungen Beckmann von Sülbeck zur Aufmunterung und Unterstützung gegeben werden.

22.01.1795 Horstig.“

 Von den als Anlage beigefügten Beurteilungen der drei Lehrer Peithmanns greife ich eine heraus.

v. d. Reck schreibt:

„Der junge Peithmann aus Achum gebürtig, zeichnete sich stets in allen meinen Lehrstunden durch Fleiß, Ordnung und ein gesittetes Betragen ganz vorzüglich aus. Sein moralischer Charakter ist vor-trefflich, seine Aufführung untadelhaft. Ich muß ihm auch das Zeugnis geben, daß er unter allen denen, die sich dem Schullehrerstande widmen wollen, und zu dem Zwecke unsere Schule besuchen, gewiß die mehrsten Anlagen besitzet, dereinst ein recht guter Schulmann zu werden.“

 Ein glücklicher Ausgang nach einem schier endlosen, zermürbenden Verfahren – vor ziemlich genau zwei Jahrhunderten. Der Vergleich mit ganz ähnlichen Verhältnissen heute drängt sich auf: Waren es damals wegen mangelnder Mobilität und Alternativen viele Jahre des Wartens auf eine Stelle, so sind heute heute oft unzählige Bewerbungen für viele Stellen erforderlich.

 Ernst Wilhelm Peithmann bestand die Aufnahmeprüfung für das Bückeburger Seminar. – Die handschriftlichen Prüfungsaufgaben aus allen Jahren und für alle Fächer habe ich für unser Archiv kopiert. Und da drängt sich die Frage auf, wer denn heute von uns in der Lage ist, Ernst Wilhems Aufgaben zu lösen. Ihr hier im Saal ahnt wohl, was auf euch nun zukommt. Was liegt näher, euch eine dieser Aufgaben zu stellen, keineswegs die schwerste. Nein, nicht aus der biblischen Geschichte, nicht Latein, nicht Rechtschreibung, nicht anspruchsvolle Mathematik, nur eine einfache Rechenaufgabe, eine Zahlenaufgabe aus dem Alltagsleben, ganz ohne die gebräuchlichen Hilfen.

 Zwei Wörter muß ich vorab erklären:

1 Himte Roggen entspricht etwa einer Menge von 30 Liter.

1 Beute Brot meint die Anzahl der Brote aus der in einen Backtrog 
passende Teigmenge.

Die Aufgabe lautet:

„Wenn der Himte Roggen 1 Thaler kostet, so kann ich mit 45 Thalern 3 Beute des Jahres in Brot erhalten. Was werden mir 5 Beute in 3 ½ Jahren an Brot kosten, wenn der Himte Roggen 30 Mariengroschen kostet?“

 Was der junge Peithmann vor 202 ½ Jahren zu lösen hatte, sollte den jungen und jung gebliebenen Peithmann heute auch gelingen. Als Hinweis sei nur in Erinnerung gerufen, daß man in dieser Rechenoperation mit dem uns geläufigen Dezimalsystem nicht weiterkommt: 1 Reichstaler = 36 Mariengroschen.

 Sicher werden wir heute nachmittag auf eine richtige Lösung vergeblich warten müssen. So wollen wir uns damit begnügen, daß jeder von uns sich selber wenigstens die Frage beantwortet, ob er die Aufgabe lösen könnte, wenn er denn Zettel, Bleistift und genügend Zeit zur Verfügung hätte.

Mit Ernst Wilhelm Peithmann wird es wohl keiner von uns heute Lebenden aufnehmen können. Er löste den doppelten Dreisatz rasch in vier Sätzen und lieferte gleich die Probe dazu:

„Ergebnis: 218 ¾ Thaler. – Die übriggebliebene Zahl 30, die mit der mit Strichen eingeschlossenen Zahl 30 übereinkommt, zeiget die Richtigkeit der Rechnung an.“

 Von 1795 bis 1798 besuchte Ernst Wilhelm Peithmann das Bückeburger Lehrerseminar, um dann in Achum seinen erneut erkrankten Vater zu vertreten bzw. ihm zur Seite zu stehen. Angesichts der fortwährenden Not in der Familie bittet er am 16. März 1798 um höheres Einkommen:

„Eure Durchlaucht und Eure Hochgräfliche Gnaden haben vorlängst auf mein unterthänigstes Ansehen mich als Gehilfen bei meinem alten Vater, den Schulmeister Peithmann in Achum, mit einem Gehalt von 20 Reichsthalern anzustellen geruhet, und diese Gnade erkenne ich gewiß mit dem tiefsten Dankgefühl. Nun habe ich zwar die möglichste Sparsamkeit angewandt, mir von diesem gnädigst angewiesenen Gehalt die nöthige Subsistenz (= Lebensunterhalt) zu verschaffen. Weil aber meine Eltern nicht nur jährlich die Hälfte ihrer Einkünfte zum Unterhalt meiner beiden auswärts in der Lehre stehenden jüngeren Brüder, sondern auch noch überdies bei den ihren oft zustoßenden kränklichen Zufällen, viel zu Arzenei verordnen müssen, und mir es ohnmöglich find, sie hülflos zu lassen, so habeich sie von Zeit zu Zeit von meinem Wenigen zu unterstützen gesuchet, bin aber dadurch selber in eine solche bedrängte kummervolle Lage versetzet worden, daß ich mich jetzt aus Noth gedrungen sehe, Eure Durchlaucht und Eure Hochgräfliche Gnaden unterthänigst anzuflehen, mir jährlich eine kleine Zulage zu bewilligen, damit ich doch nicht unter einer allzu großen Sorgenlast niedergedrückt werde, sondern mit etwas froherem Muth den Unterricht der mir anvertrauten Jugend vorstehen zu können. In der Hoffnung einer gnädigen Willfährung dieser meiner unterthänigen Bitte ersterbe ich in tiefster Ehrfurcht Eure Durchlaucht

Euer Hochgräflicher Gnaden unterthänigster Knecht

Ernst Wilhelm Peithmann.“

 Der Antrag wurde von der fürstlichen Kammer geprüft und für begründet angesehen. Nach heutigem Ermessen würde man eine Erhöhung des Gehaltes von den 20 auf etwa 25 Reichstaler erwarten. Doch die Kammer entschied anders – mit einer damals üblichen und vielleicht wirksameren Unterstützung. Hier die Entscheidung der zuständigen Kammer, die die Beamten in Bückeburg mit der Erledigung beauftragte:

„Nachdem der Schulmeister Peithmann zu Achum um Verbesserung seines bisherigen Gehalts nachgesuchet hat, so sind wir geneiget, einen Platz zur Wiese bey diesem Schuldienst ausweisen zu lassen, wozu das Forstdepartement in der Maßhorst des Dorfes Helpsen zwischen den dort belegenen Wiese und Saatlande befindlichen Platz, der ohne Nachtheil des Forstes ausgewiesen werden könnte, in Vorschlag gebracht hat. Ihr habt daher mit Zuziehung des Oberförsters Falkmann, welchem dieser Platz bekannt ist, solchen zu besichtigen und an Ort und Stelle die Hude-Interessenten zu befragen, ob sie etwa gegen dessen Ausweisung für den Schulmeister zu Achum gegründete Einwände haben, worüber wir euren Bericht erwarten und euch in Gnaden gewogen bleiben.“

 Daß in Notzeiten Land mehr als Geld bedeuten kann, haben die Älteren unter uns, denen die Nachkriegszeit noch vor Augen steht, auch erfahren.

 Seine erste selbständige Schulmeisterstelle erhielt Ernst Wilhelm Peithmann in Bergkirchen im Amte Hagenburg, nachdem seine Eltern wohl in der Familie seines Bruders, des Schneidermeisters Johann Heinrich in Achum, versorgt waren. Ernst Wilhelm hatte vor Übernahme der Bergkircher Schule Sophie Dorothea Schütte aus Niedernwöhren geheiratet. Aber was das junge Paar im neuen Dienstort erwartete, war schon damals mehr als eine Zumutung. Wir erfahren das aus einem Bittbrief vom 4. Mai 1801 an den Grafen:

 „Hochgeborener Graf! Gnädigst regierender Graf und Herr. Vermutlich ist auch Eure Hochgräfliche Gnaden bekannt, was Ein- und Ausländer wissen, daß das hiesige Küsterhaus so ganz verfallen ist, daß bei einem etwas starken Regenschauer, wie vor einigen Tagen war, das Wasser durch das Dach auf den Strohboden und in alle Stuben, Kammern, Küche, Viehställe, nur eine einzige kleine Kammer ausgenommen, stromweise fließet, mithin, daß Menschen und Vieh kein Obdach und keinen Schutz mehr haben. Hausgerät, Korn, Stroh, Heu, alles was im Hause ist, so wie das Gebäude selbst, verfaulen und verderben. So wie es jetzt ist, kann man nicht einmal im Sommer darin wohnen. Und wie wird es im Winter werden, wenn Wind und Kälte durch die löcherigen Wände dringet? Wenn der in der Wohnstube stehende Topfofen aus Mangel eines Schornsteines allen Rauch zurückdrücket, so daß man wie auf einer Rauchkammer ganz durchgeräuchert wird, nicht aus den Augen sehen und frei atmen kann. Es ist jetzt kein Platz da, wohin ich zur Zeit der Ernte die Früchte sicher vor dem Verderben legen kann. Daß man also entweder eine gänzliche Reparation vornehmen, oder mir ein anderes Wohnhaus anweisen müsse, ist augenscheinlich. Aber bei allem guten Willen wird sich die Gemeinde nicht vereinigen, sondern erst die Befehle der hohen Obrigkeit erwarten. Da erklärt denn der Amtmann Krieger in Hagenburg, daß er nicht befuget sey, aus eigener Macht die nöthigen Verfügungen zu treffen, sondern daß Eure Hochgräfliche Gnaden ihn mit gnädigsten Befehlen vorher versehen würden, wenn aus der Sache was werden sollte, daß ich also an Höchst Dieselben mich wenden und solche Befehle auswürken müsse.

Nach dieser Anweisung und von Noth gedrungen flehe ich also Eure Hochgräfliche Gnaden unterthänigst an, Höchst Dieselben geruhen gnädigst, den Amtmann Krieger zu befehlen, daß er ohn Verzug vor der Ernte, in dieser Zeit, da der Landmann die benötigten Fuhren und Handarbeiten am bequemsten verrichten kann, die Reparaturen des hiesigen Küsterhauses bewerkstelligen möge.“

 Der „Gräflich Schaumburg-Lippische Beamte“ Krieger ist dann tatsächlich tätig geworden und gibt dem Konsistorium am 10. Juli 1801 folgenden Voranschlag:

 „Auf Veranlassung der uns mitgetheilten, hierbei wieder angelegten Bittschrift des Küsters Peithmann in Bergkirchen, haben wir den hiesigen Lieutenant Wind ersuchet, die Baugebrechen der Bergkircher Küsterwohnung zu untersuchen und einen Kostenanschlag der Reparation derselben aufzustellen, welchen wir nebst dem Besichtigungsbericht des gedachten Lieutenants hierbei anlegen. Die an dem Küsterhause vorzunehmende notwendige Reparation wird einen Aufwand von 180 Reichsthalern, 13 Mariengroschen erfordern und das Zusammenbringen dieser Summe unter den Interessenten mit Schwierigkeiten verbunden seyn, da der Küster in dieser Eigenschaft, zugleich 1) als Organist der ganzen Pfarrgemeinde und 2) als Schullehrer alleine der Gemeinde Bergkirchen dienet, und unseres Wissens kein Normatif vorhanden ist, welches das Verhältnis der Beiträge zu den Baukosten der Organisten- und Schulmeisterwohnung zwischen der gesamten Pfarre und der Bergkircher Schulgemeinde bestimmen sollte.

 Die Erörterung dieses Verhältnisses wird bei der Schwierigkeit, so die eingepfarrten Ausländer darbieten, nicht so bald bewirkt werden können, und da die Reparation der Bergkircher Küsterwohnung ohn Zeitverlust geschehen muß, so geben wir dem vormundschaftlichen Konsistorium anheim, ob die Zahlung dieser Baukosten einstweilen aus der Bergkircher Kirchenrechnung vorschußweise zu bewilligen sey.“ –

 Den geplagten Kommunalpolitikern unter uns kann dieser Brief zum Trost gereichen: Schon vor zwei Jahrhunderten verursachte eine mehrfache Trägerschaft Probleme bei der Übernahme von Kosten. Doch es gab einen wesentlichen Unterschied zu heute: Damals zahlte die Kirche noch bereitwillig.

 Eine Schmiederechnung vom 07. November 1801 zeigt: Die Sanierung des Schulmeisterhauses war im Sommer und Herbst tatsächlich ausgeführt worden. Daß sich Ernst Wilhelm so nachdrücklich für die Reparatur des Hauses eingesetzt hatte, hing auch damit zusammen, daß seine Familie größer geworden war. Seine Frau hatte ihm am 23. Februar die Tochter Ernestine Dorothea geboren.

 Doch Ernst Wilhelm konnte sich nicht lange freuen an Familie, Schulmeisterdasein und Haus. Schon im Jahre 1810 starb er ganz plötzlich auf tragische Weise. Im Sterberegister des Kirchenbuches Bergkirchen lesen wir:

„Begraben den 15. Juni in Stille, Ernst Wilhelm Peithmann, 9 Jahre, 3 Monate; Küster, Organist und Schullehrer in Bergkirchen. Alt 35 Jahre, 8 Monate und einige Wochen, starb am eingeklemmten Bruch.“

 Er folgte seinem Vater, dem Schulmeister in Rusbend und Achum, der nur zwei Jahre vorher mit 71 Jahren an Auszehrung (= allgemeine Schwäche) gestorben war.

 Wenn man Ernst Wilhelm Peithmanns Briefe zur Hand nimmt, heben sich dem Leser die behutsam, aber klar formulierten Sätze, der gefällige Stil, der fehlerfreie Text und die ausgewogene Handschrift deutlich ab von vielen anderen Schriftstücken aus jener Zeit. Und trotz des zeitlichen und verwandtschaftlichen Abstandes mögen wir bedauern, daß dieser junge, hoffnungsvolle Schulmeister so früh sterben mußte. – Nachfahren von ihm leben u. a. in Hannover, so die Apothekerin Elisabeth Lewecke, mit der wir uns ausgiebig über Ernst Wilhelm Peithmann ausgetauscht haben.

  Vater und Sohn Peithmann, Schulmeister im Schaumburg-Lippischen Amt Bückeburg von 1763 bis 1810. Sie haben sich, ihre Familien und ihre Schulen heute vorgestellt mit Quellen verschiedener Art, sie haben vor allem von sich erzählt, in Briefen, Berichten und Anträgen,mit ihren eigenen Worten – mehr noch, sie haben uns gleichsam eine Tür geöffnet für einen Blick in ihre Zeit, haben uns mit hineingenommen in das 18. Jahrhundert, haben das Geschehen um sie herum, haben den Alltag lebendig werden lassen.

 Das macht den wahren Reiz der Familienforschung aus, daß wir uns von den „toten“ Daten und sich wiederholenden Namen zu lebendigen, einmaligen, unverwechselbaren Menschen führen lassen können, zu Menschen, die reden, schreiben, handeln, sich wandeln, Erfolg haben, versagen, kurz: die leben, – leben in ihren zeitlichen Bedingungen und örtlichen Umständen, vorausgesetzt der Familienforscher wurde in den Schatzkammern vergangener Jahrhunderte, in den Archiven, fündig, so wie das bei unseren Schulmeistern Johann Christoph und Ernst Wilhelm Peithmann in Rusbend, Achum und Bergkirchen in so reichem Maße der Fall war.

 Wilhelm Meier-Peithmann