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„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal …“ (22.9.2007)

 „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal …“ 

  Aus dem Leben des Pastors Clamor Ludwig Karl Peithmann * 1780  

Am 10. Oktober 1825 stellte das Königlich Großbritannisch-Hannoversche Amt Wittlage-Hunteburg im heutigen Kreis Osnabrück über den früheren Pastor zu Hilter, Clamor Ludwig Peithmann, ein Zeugnis aus. Es war vom Evangelisch-lutherischen Konsistorium in Osnabrück als obere Kirchenbhörde angefordert worden und erhielt vom zuständigen Superintendenten Block in Buer den Vermerk „mit der Wahrheit übereinstimmend“. 

Darin wird beurkundet, „dass derselbe  –  also Pastor Clamor Ludwig Peithmann –   fortwährend durch wissenschaftlichen Unterricht sich nützlich zu machen bestrebet und  … sich eifrigst angelegen sein lässet, durch seine überall mit dem größten Beifall geführten sonntäglichen … Reden  den Gemeinden  …  durch wahre Belehrung und Erbauung nützlich zu werden, so dass eben deshalb einstimmig die im hiesigen Amt belegene Gemeinde Barkhausen ihn als Adjunkt  –  . d.h.  Hilfspastor  –   ihres an Lähmung und Altersschwäche seit langer Zeit danieder liegenden Herrn Predigers sich beim hiesigen Amte zu erbitten, bewogen gewesen ist.“ 

Mit heutigen Worten gesagt: Clamor Ludwig Peithmanns Religionsunterricht, Predigtdienst und Erbauung der Gemeinde sind nicht nur von hoher fachlicher Qualität, sondern kommen auch gut an.   –   Kann es für einen jungen Pastor eine größere Anerkennung als kirchlicher Lehrer und Prediger als diese geben?  Sie  gipfelt darin, dass eine Kirchengemeinde ihn auch noch einstimmig als ihren Seelsorger anfordert  –  ausdrücklich unterstützt von der übergeordneten kommunalen Behörde, dem zuständigen Königlichen Amt. 

Wenn wir dieses amtliche Zeugnis ohne den Zusammenhang damaliger Umstände betrachten, über die noch zu berichten sein wird, müssen wir auf einen Pastor mit einer glänzend begonnenen Karriere schließen, so wie wir sie für  eine Reihe von Theologen unserer Familien in früheren Jahrhunderten kennen. 

Doch weit gefehlt!  Dieser Pastor Peithmann wanderte  –  um das bekannte, hier besonders zutreffende Psalmwort zu gebrauchen  –  in seinem Leben durch ein so dunkles Tal, wie man es sich finsterer nicht vorstellen kann. Er war von der kirchlichen Obrigkeit aus dem Amt entfernt worden.  Seine eigene Gemeinde hatte ihn schmählich verspottet und ausgestoßen. Schließlich verlor er auch noch den letzten irdischen Halt, indem seine Ehefrau ihn verließ. 

Wie passen diese Behandlungen und Einschätzungen, wie sie gegensätzlicher nicht ausfallen können, zusammen? Hier die Leitung einer Landeskirche, die den Prediger wegen dienstlicher Verfehlungen entlässt, dort Glieder eben dieser Landeskirche, die über den besonders befähigten Seelsorger eine Lobrede halten.  Hier eine Gemeinde, die ihren Pastor hinauswirft, dort eine Gemeinde, die sich um die Anstellung gerade dieses Pastors bewirbt. Hier die Trennung durch die Ehefrau, dort das erbauliche Verhältnis zu den Gläubigen.  

Wir versuchen, diese Frage zu beantworten, indem wir nach gründlicher Auswertung aller erreichbaren Quellen das Leben und Wirken dieses Pastors nachzeichnen und die Ereignisse in den Zusammenhang der geistigen und kulturellen Umbrüche seiner Zeit stellen. 

Die Erniedrigung, die Clamor Ludwig Peithmann in seinem Leben erfahren hat, zeigt Auswirkungen bis in unsere Zeit. Ihr wurde ich gegenübergestellt, als ich vor Jahren im Archiv des Hannoverschen Landeskirchenamtes in Hannover die Akten dieses Pastors einsah und auswertete. Zuvor  hatte ich mein  Forschungsgesuch mit Angaben über Personen und Gemeinden   schriftlich eingereicht. Es bezog sich auf die beiden Peithmann-Pastoren KarlClamor Ludwig in Hilter, geb. 1780, und Johann Hermann Kaspar in Ueffeln (1771-1837). Nach der Anmeldung wurde ich nicht – wie üblich – in den Benutzersaal gelassen, um die bestellten Dokumente entgegenzunehmen, sondern erst zu einem Vorgespräch gebeten.  

Man empfing mich offensichtlich als ein vermeintlicher Nachfahre dieser Pfarrer, als einer, der zudem noch ahnungslos darüber zu sein schien, dass beide wegen angeblicher dienstlicher Verfehlungen ihres Amtes enthoben worden waren. Man sah in mir einen Archivbenutzer, der wohl mit Stolz zwei Pfarrer im Stammbaum entdeckt hatte, die er nun mit großer Erwartung näher erforschen wollte. So bemühte sich der Archivar mit nahezu seelsorgerlichen Worten, mich auf eine drohende maßlose Enttäuschung vorzubereiten. Er redete so stark auf mich ein, dass ich mich meinerseits kaum erklären konnte. Aber dieses Einsatzes hätte es nicht bedurft, denn mein Forschungsziel bestand ja gerade darin, Ursachen und Umstände dieser uns längst bekannten Amtsensetzungen  zu erkunden. 

Clamor Ludwig Karl Peithmann wurde 1780 als viertes der sieben Kinder des Pastors Christian Wilhelm Peithmann und seiner Frau Christina Elisabeth Rehling in Gehrde im heutigen Kreis Osnabrück geboren. Er war somit der Enkel des ersten Gehrder Pfarrers Clamor Albrecht und Urenkel des Konsistorialrates und Pastors Ludwig Peithmann in Bad Essen. 

Aus seinem im Niedersächsischen Staatsarchiv Osnabrück aufbewahrten, lateinisch geschriebenen  Lebenslauf erfahren wir, dass er den ersten Religionsunterricht  bei den Kantoren Bonorden und Vogeler in der Gehrder Schule bekam und von seinem Vater 1796 konfirmiert wurde. Nach dem Besuch der Lateinschule in Quakenbrück und des Ratsgymnasiums in Osnabrück ließ er sich im Oktober 1800 in der Georg-August Universität Göttingen für das Studium der Theologie einschreiben. In diesen Jahren war er der einzige Peithmann-Student an dieser Hochschule. Unter bedeutenden Professoren, u. a. dem Alttestamentler Eichhorn, dem Dogmatiker Planck und demHomiletiker Ammon, bekam er eine gründliche theologische Ausbildung. 

Während dieser Göttinger Studienzeit änderten weltpolitische Ereignisse die Lage im heimatlichen alten Fürstbistum Osnabrück grundlegend. Es verlor 1802 seine Selbständigkeit und wurde von französischen Truppen besetzt, bis Napoleon im August 1807 das Königreich Westfalen ausrief. 

In diesem Jahr überschlugen sich für Clamor Ludwig auch persönlich die Ereignisse. Gerade zu dem Zeitpunkt, als er seine Ausbildung zum Pfarrer beendet hatte, wurde  in Hilter bei Dissen am Teutoburger Wald eine Stelle frei. Zudem starb sein Vater, für dessen Platz sich sein Bruder Gustav Adolf bewarb. Clamor Ludwig umging offenbar die kirchliche Administration und wandte sich  gleich an den  französischen Generalgouverneur Loison in Münster mit dem Ergebnis, dass tatsächlich  beiden Brüdern die Pfarrämter in Hilter und Gehrde übertragen wurden. Welche Befindlichkeiten mag das augenscheinliche Übergehen des Osnabrücker Konsistoriums als die fürPfarramstbesetzungen eigentlich zuständige kirchliche Behörde dort ausgelöst haben? Stehen manche späteren,  von ihr getroffenen Entscheidungen zu Ungunsten Clamor Ludwigs auch damit im Zusammenhang? 

Und so dokumentierte der junge Pastor seinen Amtsantritt im Kirchenbuch von Hilter: „Anno 1807 bin ich, Clamor Ludwig Karl Peithmann, dem würdigen und verdienten Pastor Delkeskamp im Amte als Prediger gefolget und den 2. August,  Dominus 10. post Trinitatis, hier zu Hilter von dem Herrn Konsistorialrat Block, zeitigen Pastor zu Bramsche, ordinieret.“  

Vorausgegangen waren die Probepredigt, die Beurteilung durch den zuständigen Superintendenten Block in Bramsche und das feierliche Gelöbnis vom 15. Juli 1807 vor dem Konsistorium in Osnabrück . Kopien aller dieser handgeschriebenen Texte sind Bestandteile unseres Familienarchivs. 

Knapp anderthalb Jahre später schloss sich ein weiteres scheinbar hoffnungsvolles Ereignis an: Im Januar 1809 heiratete er Helena Christina Ungewitter, Tochter  des ortsansässigen Kaufmanns Johann Gottlieb Ungewitter. 

Aufzeichnungen in den Kirchenbüchern Hilters mit  Angaben auch von zeitgeschichtlichem Belang  zeugen von Clamor Ludwigs Amtsgeschäften in dieser Kirchengemeinde. So machte er 1812 und 1813 im Tauf- und Sterberegister Einträge, die Kinder „frunzösischer Douanen“ , also französischer Zollbeamten, betrafen. Bis 1811 führte er die im Königreich Westfalen eingeführten Zivilstandsregister im Auftrage des Maires , d.h. des von den Franzosen in Hilter im Kanton Dissen,  Departement Ober-Ems, eingesetzten Bürgermeisters. 

Doch mit diesen eher nüchternen Angaben zu Stationen  seines Lebens und seines Dienstes  scheinen die ungetrübten Nachrichten über Clamor Ludwigs Amtszeit in Hilter schon erschöpft. Um die unliebsamen Ereignisse der folgenden anderthalb Jahrzehnte im Pastorat zu Hilter einordnen zu können, bedarf es einiger Kenntnis sowohl der Ortsgeschichte, insbesondere der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse jener Zeit, als auch der geistigen Richtungskämpfe im Konsistorium. 

Hilter liegt zwischen Osnabrück und Bielefeld an einer uralten Handelsstraße, die südlich des Teutoburger Waldes entlang führt und  Handelszentren in West und Ost miteinander verbindet. Seit  jeher haben die Einwohner von diesem Durchgangsverkehr Nutzen gezogen,  etwa durch Beherbergungsbetriebe, Pferdewechselstationen, Hufschmiede, Wagenbauer und Sattler. Es blieb nicht aus, dass die für den kleinen Ort in großer Zahl vorhandenen Gasthäuser auch die Ortsansässigen zu übermäßigem Alkoholgenuss verleitete. In der um 1890 von dem derzeitigen Pastor Carl Meyer verfassten und 1900 erschienenen Chronik „Bilder aus der Geschichte der Gemeinde Hilter im Osnabrückschen und ihrer Umgebung“  lesen wir: 

„Nüchterne Leute sollen damals in Hilter Ausnahmen von der Regel gebildet haben. Die Regel war: alle Hilterschen sind Säufer.  …  Die Rohheit, namentlich des jungen Volkes, soll alle Grenzen überstiegen haben. Die Gemeinde war in der ganzen Gegend verrufen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse auf den Höfen waren die denkbar jämmerlichsten“. 

Auch wenn diese sehr verschwommenen, verallgemeinernden und einseitigen Formulierungen  zu  erheblicher Kritik  herausfordern   –   dieser Pastor scheint tatsächlich nur ein Prediger und kein mit sorgfältiger Analyse und sachlicher Darstellung  von Fakten vertrauter Historiker gewesen zu sein  – , so wird der Ort damals doch unter der Trunksucht mit ihren sozialen und wirtschaftlichen Folgen stark gelitten haben.  

In dieser schwierigen Zeit hätte Hilter eines lebenserfahrenen, reifen, umsichtigen, geschickten und vor allem standfesten Seelsorgers bedurft. Stattdessen wurde mit Clamor Ludwig Peithmann ein gerade mal 27jähriger Berufsanfänger ohne die nötige Menschenkenntnis gewissermaßen vom Hörsaal auf seine erste Stelle ausgerechnet in das heiße Hilter geschickt. 

Der junge Pastor musste ungewollt und zunächst wohl auch unbewusst in eine Falle laufen, die über kurz oder lang zuschlagen würde. 

Mit seinem Dienstantritt wird er dann doch recht bald die Schwere der Aufgabe erkannt haben.  Ein Pastor spielte bekanntlich im gesellschaftlichen Leben des frühen 19. Jahrhunderts eine ungleich bedeutsamere gesellschaftliche Rolle  als heute. Auf der einen Seite waren die Erwartungen an Clamor Ludwig auf Verbesserung der Lage im Ort sicherlich sehr hoch. Was seine altehrwürdigen Vorgänger nicht geschafft hatten, sollte er nun richten. Auf der anderen Seite hatten viele seiner Gemeindeglieder, wohl nicht nur Gastwirte,  aus naheliegenden Gründen in Wirklichkeit kaum ein Interesse an einer Änderung. 

Hinzu kam offenbar ein starker Druck der Kirchenleitung auf Clamor Ludwig Peithmann. In ihr tobte zu der Zeit regelrecht ein Kampf zwischen der auf traditionelles Bibelverständnis ausgerichteten Fraktion und den nach vorne drängenden Vertretern der Aufklärung um die Vorherrschaft. Die sogenannten Rationalisten gewannen immer mehr an Einfluss und versuchten, die Pfarrämter möglichst mit gleichgesinnten Pastoren zu besetzen.  

Es fällt  auf den ersten Blick nicht leicht, Clamor Ludwig Peithmann an Hand des Inhaltes der schon erwähnten  Probepredigt  einer dieser Richtungen zuzuordnen. Der zu Grunde liegende Bibeltext steht im 7. Kapitel des Evangelisten Matthäus in den Versen 13 und 14: „Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt; und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng,  und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden.“ 

Der beurteilende Superintendent anerkennt die hohen Anforderungen, die der Text an den Prediger stellt. Er „gebe die beste Gelegenheit, sowohl theologische Erkenntnis zu zeigen als auch eine erbauliche Rede zu halten.“ 

Hören wir kurz in die Predigt hinein. Ich lese den ersten und den letzten Abschnitt sowie einen Satz dazwischen.  

„Meine lieben Zuhörer! Wenn Gott alle Menschen nicht bloß für dieses kurze Dasein, sondern für einen künftigen, ewig andauernden Zustand in einer besseren Welt bestimmt, und zur Erreichung dieses wichtigen Zwecks ihm die mannigfaltigsten Mittel an die Hand gegeben hat, so kann einem vernünftigen Menschen, der diese seine wahre Wohlfahrt ernstlich besorgen will, nichts wichtiger und seiner Aufmerksamkeit würdiger sein, als sich immer genauer mit diesen Mitteln, die ihn zu diesem wichtigen Ziele hinführen, bekannt zu machen und die mannigfaltigsten Hindernisse, die er auf dem Wege zu seiner Vollkommenheit und dem Glücke seines Geistes zu gelangen, antrifft, immer mehr zu bekämpfen.“ 

Was Clamor Ludwig mit diesen Hindernissen meint, sagt er in vielen Beispielen. Hier eines davon: 

„E i n  wichtiges Hindernis, für die wahre Wohlfahrt unseres Geistes zu sorgen, ist aber auch jener unselige Hang der geflissentlichen Aufsuchung der Fehler und Unvollkommenheiten anderer, die den Menschen durch die stolzeste Eigenliebe verblendet, absichtlich seine eigenen Fehler zu verbergen.“ 

Die Predigt endet so:

„Gott, der allein unsere Schwachheit aufzurichten und das wankende Herz mit göttlicher Kraft zu stärken vermag, wird denn auch diese Gesinnungen und Vorsätze in uns befestigen und uns unsträflich aus den Wohnungen der Dunkelheit und der Irrtümer in das wahre Vaterland des Lichts und der nie versiegenden Freude führen.“ 

Geschickt verbindet Clamor Ludwig in seiner Predigt praktisches

Tun zur Wohlfahrt auf Erden, im Sinne der Aufklärer,  mit der ewigen Wohlfahrt als Geschenk Gottes, der zentralen Hoffnung im christlichen Glauben,  im Sinne bibelgetreuer Auslegung, als deren Anhänger er sich dann doch ausmachen lässt.  

Gleichgültig, ob sich ein Pfarrer mehr dieser oder stärker jener Richtung von Theologie und Amtsverständnis verpflichtet fühlte, mit dem sich in der Kirche immer weiter ausbreitenden  Rationalismus war ein hoher moralischer Anspruch verbunden, den die Vertreter der kirchlichen Obrigkeit von den Pfarrern auch einforderten. Es galt,  von den Kanzeln nicht nur „Gutes Tun“ zu predigen sondern selber umzusetzen. Denn für Vorkämpfer der Aufklärung war Gott kein Gegenüber;  für viele von ihnen  e r e i g n e t   sich Gott nur, nämlich dann, wenn ein Mensch Gutes tut.

In einer Zeit, die von dieser hier nur angedeuteten  theologischen und kirchlichen Ausrichtung geprägt war,  erwies sich eine Gemeinde mit einem Ruf wie in Hilter für den Pfarramtsinhaber als eine große Herausforderung. Dieser konnte ein junger Pastor, der dafür noch kein  Handlungsinstrumentarium aus  Lebenserfahrung, Alter und Ausbildung  zur Verfügung hatte, um so weniger gerecht werden.  So war Clamor Ludwig diesem Anspruch im ursprünglichen Sinne des Wortes augenscheinlich nicht gewachsen. 

Versetzen wir uns nun in seine Lage. Wie sollte er vorgehen?  Nur vom traditionellen Bibelverständnis aus sich brüderlich um die Gestrauchelten und Anfälligen zu bemühen, wäre bei diesen auf Ablehnung gestoßen und hätte die  Kirchenleitung wohl auch nicht mit getragen.  Die Missstände direkt anzuprangern und offen zur Umkehr aufzurufen, hätte den jungen Seelsorger nur isoliert und wäre erfolglos geblieben. Clamor Ludwig ließ sich auf einen anderen, auf einen verhängnisvollen Weg ein. Um die Menschen zu gewinnen, versuchte der Pastor,  ein Stück auf sie zuzugehen. Das hieß in Hilter, sich etwa mit ihnen auch am Biertisch zusammen zu setzen. Aber dafür war er zu jung, zu unerfahren, zu allein, zu wenig gefestigt, zu haltlos.  Und so kam, was kommen musste. Er ließ sich mit der Zeit auch auf den Alkohol ein. 

Und das Schlimmste und Niederträchtigste: Die Hilteraner drehten den Spieß um und beschuldigten Clamor Ludwig, er hätte sie verführt. Indem sie auf diese Weise einen Sündenbock gefunden hatten, konnten sie von sich selber ablenken. Und der schon zitierte und kritisierte Pastor Meyer übernahm ganz unreflektiert auch den daraus erwachsenen populären Klatsch und Tratsch. Dass er sich dabei in Widersprüche über die Ursachen der Alkoholsucht inHilter verstrickte, die bekanntlich schon lange vor Peithmanns Amtszeit grassierte, ficht ihn offenbar nicht an. 

Im 11. Kapitel „Die Geistlichen von Hilter im 19. Jahrhundert“ schreibt dieser Autor: 

Wie Peithmann die Zeiten tiefster Erniedrigung unseres Vaterlandes mit der Gemeinde Hilter durchlebt hat (Anmerkung: Gemeint ist die Franzosenzeit), so ist die Zeit seiner hiesigen Wirksamkeit wohl auch die der tiefsten Erniedrigung für unsere Gemeinde gewesen. Es taugt nicht für die Öffentlichkeit, was aus seinen Tagen noch heute wieder und wieder in der Gemeinde erzählt wird. Niemals ist hier vor und nach ihm die Ehre des geistlichen Amtes in so schmachvoller Weise diskreditiert worden. Aber um doch ein Bruchstück eines Bildes dieses Mannes und der damaligen Gemeinde zu geben, wollen wir etwas mitteilen, das ein ehrwürdiger Greis, der SuperintendentHuchzermeier, der damals als Knabe hier in der Gemeinde erzogen wurde, in dem Manuskript seiner Selbstbiographie anführt. Derselbe lässt uns zunächst einen Blick in die damaligen Schulverhältnisse tun. „Der dortige einzige Lehrer,“ schreibt er, „der gleichfalls Küster und Organist in einer Person war,  Hämmerer mit Namen (er nennt sich mit Vorliebe Ludimagister), war nicht minder ein notorischer Trunkenbold, wie der Pastor des Orts, Peithmann.“ 

Nun folgen entwürdigende Schauergeschichten über diesen Schulmeister, denen sich Angaben über den Pastor anschließen: 

„Fast noch schlimmer als dieser Lehrer war der Pastor. Lange hat die Gemeinde unter dem verderblichen Einfluss dieser beiden Männer geseufzt. Endlich aber sind beide dem längst verdienten Urteil der Absetzung verfallen. 

Vita clerici, Evangelium populi! Dem Vorbilde seiner geistlichen Führer ist auch hier das Volk gefolgt. Die Gemeinde war es gewohnt, ihren Pastor am Sonntag Morgen aus dem Wirtshause vor den Altar gehen zu sehen. Ja, es soll vorgekommen sein, dass der Gesang schon ganz zu Ende gesungen war und die Gemeinde ihn noch einmal singen musste, weil der Pastor sich noch nicht vom Wirtshaus hatte trennen können. Es geht noch die Rede, die Frau Pastorin habe den amtlichen Eifer ihres Mannes gelobt und zum Beweise dafür angegeben: wenn er am Sonntag Mittag aus der Kirche komme,  so lege er gleich die Predigt  für den nächsten Sonntag in seine Bibel, damit er sie am nächsten Sonntage nicht vergesse.“   –   … 

Als endlich 1821 die Gemeinde von dem Pastor Peithmann und dem Lehrer Hämmerer erlöst wurde, ist hier zunächst als Kooperator eine Zeitlang der Pastor Gerding tätig gewesen, da dem Peithmann schon während der gegen ihn geführten Untersuchung  das Recht, Predigten und Amtshandlungen zu verrichten, entzogen war.“ 

Wohl gemerkt, der Chronikautor Pastor Meyer lässt sich dazu verleiten,  anstatt belegbare Tatsachsen aufzuführen, seinem Amtsbruder  angebliche Vorkommnisse anzuhängen, die er mit Formulierungen wie „es soll vorgekommen sein“ und „es geht noch die Rede“ umschreibt. Das ist einem ernsthaften  Chronisten nicht erlaubt und zudem eines Seelsorgers unwürdig.

Dennoch veranschaulicht dieses Dokument eindrucksvoll, wie solche Nachrichten und Gerüchte noch nach mehreren Generationen nicht nur im Volk, sondern selbst von damaligen Akademikern  transportiert wurden. 

Das amtliche Verfahren um den Pastor Clamor Ludwig Peithmann nahm folgenden Weg. Am 18. Juli 1821, also in seinem 14. Dienstjahr, stellte das Konsistorium zu Osnabrück beim „Königlichen Cabinets-Ministerium zu Hannover“ den Antrag auf „Entlassung des Predigers Peithmann zu Hilter vom Amt“. In der Begründung heißt es u.a.: 

„Wie bedauernswürdig auch die Lage ist, in welche der Prediger Peithmann versetzt werden wird, so enthalten doch  … die Untersuchungs-Akten so viele Beispiele von Pflichtvergessenheit und gehäuft ärgerlichem  Lebenswandel dieses Mannes, dass wir es weder gegen die Gemeinde Hilter, die seit einigen Jahren so unglücklich gewesen ist, diesen höchst unwürdigen Prediger zu haben und gegen das Publikum überhaupt, dem ein solcher Prediger und Seelsorger zum größten Ärgernis gereicht, verantworten zu können glauben würden, wenn wir nicht aus unserer Sicht dahin zu wirken suchten, denselben aus seinem Amte zu entfernen.  

Wir bitten daher in Vereinigung mit der Gemeinde Hilter und mit dem   …  Konsistorium, dass Eure Königliche Hoheit und Eure Königlichen Exzellenzen sich einigen zu wollen, den Prediger Peithmann seines Dienstes zu entsetzen und dagegen der Gemeinde einen anderen würdigeren Prediger zu geben.“ 

Im weiteren Text maßen sich die drei namentlich bekannten Herren des Konsistoriums den Befund an, „dass die vielen Ausschreitungen … des Pastors Peithmann ihren ersten Grund in einer erblichen Anlage zum Wahnsinn haben“.   In Kenntnis der weiteren Entwicklung dieses Falles und der schon eingangs zitierten, späteren einhellig hervorragenden Dienstbeurteilung stellen wir auch hier fest: Um eine in solchen Ämtern nicht  genehme Person los zu werden, muss man sie einfach für verrückt erklären. Da kommt der Hinweis der Kirchenoberen auf  Mitleid einer puren Heuchelei gleich. 

In den folgenden vier Jahren, in denen sich auch seine Frau von ihm trennte, schweigen die Archivalien. Wie hat dieser  Mann von 41 Jahren  –   innerlich gedemütigt, öffentlich gescholten, allein gelassen mit seinem Versagen, ohne Zukunftsaussicht und ohne Bleibe  –   seinen tiefen Fall überlebt? 

„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“.  Über den 23. Psalm hat Clamor Ludwig nicht nur gepredigt, sondern er selber hat aus ihm die lebensrettende Stärkung erfahren. So tritt uns in den ab 1825 wieder einsetzenden Akten ein Pastor mit ungebrochenem Lebenswillen und ganz konkreten Vorstellungen für einen weiteren Dienst als Prediger entgegen. 

Diese Dokumente zeichnen die auf die Amtsentsetzung folgenden Jahre nach. Clamor Ludwig Peithmann erhielt eine zunächst auf vier Jahre bewilligte Unterstützung von jährlich 100 Reichstalern. Nachdem er im Mai 1825 bei der Regierung in Hannover die Verlängerung und Aufstockung beantragt hatte, erstellte das Osnabrücker Konsistorium immerhin ein Gutachten, aus dem wir Einzelheiten über diese vier Jahre erfahren.  

Die Kirchenbehörde berichtet, „dass der Supplikant (d.h. der Bittsteller) sich seit den letzten zwei Jahren so gut betragen hat, dass wir die sichere Hoffnung hegen dürfen, er werde, wenn er so fortfährt, einer Wiederanstellung nicht unwert sein. Seine Entlassung machte zwar gleich von Anfang an einen tiefen und guten Eindruck auf ihn; allein in ersteren 18 Monaten hatten wir dennoch nicht Ursach´,  mit seinem Betragen völlig zufrieden zu sein und veranlassten daher, dass er seinen derzeitigen Wohnsitz Dissen verließ und sich nach Essen begab, wie wir auch der Überzeugung gewesen, dass seine Verhältnisse in dem ersteren Orte nicht günstig auf ihn wirkten, und er in Essen nicht nur eine bessere Umgebung finden, sondern auch Gelegenheit erhalten könne, sich durch Belegung einer ihm bewilligten Privatschule nützlich und einigermaßen lukrativ zu beschäftigen. Wenngleich er nun auch dieses Verdienstes ungeachtet sich dort sehr hat behelfen müssen, so hat er sich dem ungeachtet dem Unterricht sehr tätig gewidmet und durchaus guten sittlichen Wandel geführt.“ 

Ein beträchtlicher Teil der im Archiv des Landeskirchenamtes über Clamor Ludwig Peithmann aufbewahrten Akten beziehen sich  –  wie könnte es anders sein  –  auf die Sicherung des Lebensunterhaltes dieses amtsentsetztenPastors. Im Juni 2005 wurde ihm die jährliche Rente von 100 Reichstalern für weitere drei Jahre gewährt. Dazu kamen auch noch einzelne außerordentliche Unterstützungen, so 25 Reichstaler im November 1826. Weitere Einkünfte bestritt er aus dem Unterricht in seiner Privatschule in Bad Essen. Offensichtlich reichten die Einkünfte insgesamt  nicht aus, denn das Amt Wittlage-Hunteburg berichtete der Regierung in Hannover  im Oktober 1825: 

„Da aber die Zahl seiner Schüler durch Abgang zu höheren Bildungsanstalten sich sehr vermindert hat, so kann derselbe mit der ihm bisher bewilligten öffentlichen Unterstützung von 100 Reichstalern und mit dem Wenigen, was der Unterricht der Lesestunden abwirft, seiner und seiner Frau Subsistenz (d.h. Lebensunterhalt) bei allen auch ihm eigenen und bisher bewiesenen Resignation (also Verzicht) nicht bestreiten.“ 

Clamor Ludwig bemühte sich stark darum, wieder in den Dienst zurück zu kommen. Auf seinen Antrag hin  ermächtigte das Kabinettsministerium in Hannover das Osnabrücker Konsistorium, ihm am 20. Juni 1825 die „Licentiaconcionandi, d.h. das Recht zur Ausübung pfarramtlicher Tätigkeiten,  zunächst für ein Jahr zu erteilen. Damit war aber keineswegs die Übernahme einer Gemeinde verbunden. Gleichwohl konnte nun der Pastor Peithmann  in Bad Essen und wohl auch in umliegenden Gemeinden, so in Barkhausen, Gottesdienste und Konfirmandenunterricht halten und als Seelsorger wirken. Und auf diesen Dienst bezieht sich die eingangs zitierte, hervorragende Beurteilung von Gemeinden, Amt und Superintendantur. 

Verständlich, dass Peithmann nun auch wieder die pfarramtliche Übernahme einer Gemeinde in voller Verantwortung anstrebte. So fügte es sich gut, dass gerade in dieser Zeit das benachbarte Pastorat  in Barkhausen imWiehengebirge nicht nur frei wurde, sondern diese Gemeinde, unterstützt vom Königlichen Amt Wittlage-Hunteburg,  ausdrücklich Pastor Peithmann anforderte. 

Das sich nun schier endlos hinziehende Verfahren begann im Dezember 1825, als das Kabinettsministerium in Hannover vom Konsistorium in Osnabrück über Peithmanns Gesuch auf Wiederanstellung ein Gutachten anforderte. Das Ergebnis: Ihm wurde doch verwehrt, das Pfarramt in Barkhausen eigenverantwortlich zu verwalten. Stattdessen erhielt er die Stelle eines sogenannten zweiten Kooperators in seinem derzeitigen Aufenthaltsort  Bad Essen. Hierzu wurde er am 17.April 1826 erneut ordiniert und dem dortigen Pastor Voss „zur Hülfe“ gegeben.“  

Ein Vertrag zwischen beiden Pfarrern regelte die Amtsgeschäfte unter ihnen. Darin wurde festgelegt, dass Peithmann alle 14 Tage eine Sonntagspredigt übernimmt, dazu je einen Gottesdienst an den hohen Feiertagen – insgesamt 31 Sonntags- und Festtagspredigten im Jahr. Nach Aufforderung von Pastor Voss  kann Peithmann auch andere pfarramtliche Aufgaben versehen. Dafür bekam der Kooperator vom ersten Pfarrer jährlich 50 Reichstaler, und zwar halbjährlich 25 in Münzen auf die Hand. Für die Hilfeleistung beim Abendmahl erhielt er jedesmal 2/3 Reichstaler. 

Offenbar versah Clamor Ludwig Peithmann seinen Dienst in Bad Essen sehr zur Zufriedenheit der Gemeinde. Denn schon gut ein halbes Jahr später zeigte die für geistliche Angelegenheiten zuständige Abteilung im hannoverschen Kabinetts-Ministerium dem Osnabrücker Konsistorium an:  

„Übrigens haben wir bei dem fortwährend guten Betragen des Kooperators Peithmann nichts dagegen, wenn derselbe vom Königlichen Konsistorium bei der ersten sich passenden Gelegenheit zur Verleihung einer eröffneten (also frei gewordenen) Pfarre in Vorschlag gebracht wird.“ 

Mit diesem Schreiben bricht nun aus, was in dem Theater um den Pastor Clamor Ludwig Peithmann noch fehlt: Ein offener Schlagabtausch zwischen dem Kabinettsministerium in Hannover, das auf eine Anstellung drängt,  und dem Konsistorium in Osnabrück, das  –  man muss hier schon sagen „noch immer“   –  genau dies zu verhindern sucht. 

Die Gründe scheinen  auf der Hand zu liegen. Die Regierung muss schon aus Haushaltsgründen ein Interesse daran haben, diesen Pastor auf eine vollwertige Pfarrstelle zu setzen, damit die zusätzliche Rente an ihn entfällt. Vor allem aber haben die mittlerweile guten Zeugnisse die vormaligen Bedenken zerstreut. Das sieht das geistliche Konsistorium offenbar anders, für das auch noch die schon mehrfach aufgeführten anderen Vorbehalte eine entscheidende Rolle gespielt haben dürften. 

In seinem Bericht vom 27. Oktober 1828 an die Regierung verweist das Konsistorium  auf „einige Bedenklichkeiten“, die sich der Verleihung einer Pfarre “ noch in den Weg“ stellen: 

„Einige der Fehler nämlich, welche der Kooperator Peithmann sich als Prediger zu Hilter zu Schulden kommen ließ, sind hier noch immer in neuem Andenken, und wir werden besorgen müssen, sehr nachteilig auf eine Gemeinde einzuwirken, wenn er als Seelsorger ihr gegeben werden sollte. Als Kooperator liegt ihm entweder nur ein Teil der Geschäfte oder das Ganze doch nur auf kurze Zeit ob, und kein Gemeindemitglied ist daher an ihn gebunden. Sein Hauptgeschäft besteht im Predigen; und da er ein guter Redner ist, so wird er als solcher geschätzt, während ein wahres Vertrauen der Eingesessenen in der Gemeinde, wo er fungiert, noch immer fehlt. 

Mit Wahrheit darf man behaupten, das der Kooperator Peithmann ein fähiger und gutmütiger Mann ist, aber so wahr ist es leider auch, dass es ihm an Ernst und Festigkeit fehlt. Ein gewisser Hang zu Zerstreuungen wird ihn nicht verlassen, und jede bessere und dabei unabhängige Lage könnte ihn nicht nur zu leicht wieder auf den Irrweg führen, besonders da er schwach genug ist, einem jeden zu folgen, der seinen Wünschen entspricht und auf dessen Kosten er zu zehren hoffen kann.“ 

So kommt die Kirchenbehörde zu dem Schluss, es sei „eine Wohltat für ihn (d.h. es sei für ihn besser), wenn seine jetzigen Verhältnisse erst weiter andauern.“ Neben unbezahlten Schulden führt die Kirchebehörde schließlich noch seine „unglücklichen ehelichen Verhältnisse“ als Hinderungsgrund auf: 

„Der Kooperator Peithmann ist verheiratet, hat zwar keine Kinder, lebt aber schon seit wenigstens zehn Jahren getrennt und in trübender Spannung mit seiner Frau. Früherhin mag allerdings recht viele Schuld auf seiner Seite gewesen sein, und möchte auch noch fortwährend wohl wenigstens einige Schuld des Missverhältnisses in ihm beruhen; allein der Hauptanstoß liegt in dem großen Leichtsinn der Frau, der schwerlich zu lassen sein wird. Wiederholt haben wir uns bemüht, eine Vereinigung (d.h. Versöhnung) zu erreichen, allein alle Mühe blieb fruchtlos; und wenn auch einzelne Male eine  Versöhnung stattfand, so war diese doch nur von kurzer Dauer. 

Im Konsistorium möchte man verhindern, dass Peithmann „als Prediger zum Anstoß der Gemeinde getrennt von seiner Frau oder im häuslichen Zwiste leben sollte. Diese Aussichten sind es, welche unser Verfahren leiteten …“. 

Die Antwort aus Hannover lässt nicht lange auf sich warten. Mit Datum vom 15. November 1828 bewilligt sie Clamor Ludwig Peithmann zunächst eine Verlängerung der  Rente von jährlich 100 Reichstaler bis zum 1. Juli 1832, lehnt aber jede Aufstockung ab, und setzt sich dann nachdrücklich für die Wiederanstellung als gemeindeverantwortlicher Pastor ein. 

„Überhaupt halten wir dafür, dass das bisherige Verhältnis des Kooperators Peithmann nicht noch ferner auf lange und unbestimmte Zeit fortdauern kann und wird auch jene Unterstützung über den 1. Juli 1832 hinaus nicht ferner erstreckt werden. 

Wir verkennen zwar nicht die Triftigkeit der Gründe, aus welchen das Königliche Konsistorium Bedenken trägt, den Kooperator Peithmann schon jetzt zur Verleihung einer Pfarre in Vorschlag zu bringen. 

Allein diese Bedenklichkeiten werden sich durch ein ernstliches Bestreben des Peithmann und durch zweckmäßige Einwirkung des Königlichen Konsistoriums beseitigen lassen. Wir veranlassen daher das Königliche Konsistorium,  den genannten Peithmann vorzufordern, ihn von der geschehenen Bewilligung in Kenntnis zu setzen und ihn zwar die Zufriedenheit des Kollegiums mit seinem besseren Betragen und seinen Bestrebungen zu erkennen zu geben, jedoch ihn zugleich auf seine Mängel und Schwächen aufmerksam und ihm bemerklich zu machen, in welchen Punkten er sich noch bessern und vervollkommnen müsse, um sich zur Erlangung einer Pfarre Hoffnung zu machen. Namentlich würde er sich vorher mit seiner Frau zu versöhnen und eine Vereinigung zu erwirken suchen müssen, da es ihm selbst nicht entgehen könne, welchen Anstoß er als Prediger verursachen würde, wenn er von seiner Frau getrennt oder im häuslichen Zwiste mit ihr leben sollte. 

Zeigen diese und fernere zeitgemäße Ermahnungen einen guten Erfolg, so hat das Königliche Konsistorium nach Verlauf von einem oder höchstens von zwei Jahren darauf Bedacht zu nehmen, dass der genannte Peithmann für eine passende Pfarre in Vorsehung gebracht werde.“ 

Nur gut einen Monat später. Dieser 18. Dezember 1828 ist im Lebensbild des Pastors Clamor Ludwig Peithmann ein besonderes Datum. An diesem Tag erschien er auf Vorladung im Gebäude des Osnabrücker Konsistoriums, um den Inhalt der zitierten Verfügung entgegen zu nehmen. Er wurde über die Bewilligung der Rente bis 1832 in Kenntnis gesetzt und ernsthaft ermahnt, „dass er auf eine Anstellung Verzicht leisten müsse, wenn er mit seiner Ehefrau nicht zusammen und in Einigkeit lebe“.  

Diese Äußerungen würden heute dem juristischen Tatbestand der Erpressung durch eine Behörde entsprechen. Und ich persönlich bekenne mich zu einem Gefühl von Mitleid, wenn ich die demütige Antwort Clamor Ludwig Peithmann höre. Im Protokoll ist vermerkt: 

„Derselbe erklärte, dass er seinerseits gerne bereit sei, mit seiner Frau zusammen und in Einigkeit zu leben, dass aber seine Frau dazu nicht geneigt sei, und er wolle das Königliche Konsistorium gebeten haben, ihm zur Herstellung der Einigkeit behilflich zu sein; er seinerseits sei zu allem bereit“.

Zum Schluss äußerte er noch die Bitte, auch wenn seine Ehefrau nicht zu ihm zurückkehren wolle, so möge man ihm doch, wenn schon nicht eine Pfarrstelle, so doch wenigstens die Stelle des ersten Kooperators in Essen übertragen, sobald diese einmal frei werde. 

Diese am 18. Dezember 1828 gesprochenen Worte sind die letzten, die von dem Pastor Clamor Ludwig Peithmann überliefert wurden. Es fehlen  jegliche weitere Nachrichten über ihn.  Wir wissen nicht einmal, ob er die zugesagte Rente bis 1832 noch in Anspruch genommen hat. Sicher ist aber, dass ihm sein Wunsch, wieder eine vollwertige Pfarrstelle in der Hannoverschen Landeskirche zu erhalten, nicht mehr erfüllt wurde. Uns ist auch nicht bekannt, wie lange er noch gelebt hat. Im Sterberegister des Essener Kirchenbuches sucht man seinen Namen vergeblich.

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So stellt sich uns heute Clamor Ludwigs Leben als eine Wanderung durch ein finsteres Tal dar, in dem eben dieser Wanderer dennoch letztlich kein Unglück fürchtet  –  ein Leben allerdings auch, dessen Ausgang  im Dunkeln liegt. 

Vor kaum zu bewältigende Aufgaben stehen, sich überfordert  fühlen, verlassen sein, Widerstand spüren, verspottet werden, versagen    –   aber darin nicht stecken bleiben, auf Gott vertrauen, Mut zeigen, die eigenen Kräfte einsetzen, weiter gehen   –  auch und erst recht im Umfeld widriger zeitgeschichtlicher und persönlicher Umstände  –  das kennzeichnet den Lebensweg des Clamor Ludwig Peithmann  vor zwei Jahrhunderten. 

In diesem Vortrag wird vordergründig nur das Lebensbild eines Pastors gezeichnet, eines gescheiterten Pastors gar. Doch beim näheren Hinsehen erkennen wir ein großes Abbild von dem, was viele in ihrem Leben mindestens im Kleinen auch durchmachen müssen. Zudem erscheint vor unseren Augen ein anschauliches Zeitbild von Kirche und Gesellschaft aus wahrhaft unrühmlichen Tagen .

Wilhelm Meier-Peithmann