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Sechs Generationen Bäckermeister Peitmann in Stadthagen (16.9.2000)

Sechs Generationen Bäckermeister Peitmann in Stadthagen

 Vortrag auf dem Familientag in Stadthagen

 

Liebe Verwandte und Freunde!

„Sechs Generationen Bäckermeister Peitmann in Stadthagen“ – Am heutigen Familientag aus Anlaß der 20jährigen Wiederkehr des großen Treffens „Sechs Jahrhunderte Familien Peit(h)mann aus Stadthagen“ im Jahre 1980 schlagen wir ein bedeutendes und umfangreiches Kapitel unserer Familiengeschichte auf. War es doch der Familienzweig dieser Bäckermeister, der als einziger der angestammten Stadt über Jahrhunderte hinweg bis heute die Treue gehalten hat. Wir erinnern uns: Von den vier Söhnen des in der Mitte des 15. Jahrhunderts geborenen Stadthäger Bürgers Arndt Poytemann verließ der Schuhmacher Evert zusammen mit seinem Bruder Hans seine Vaterstadt und begründete in Hannover einen eigenen Familienzweig. Nachkommen von Tomas kehrten ein gutes Jahrhundert später Stadthagen den Rücken; als Theologen wurden sie in offene Pfarrämter anderenorts berufen.

 Die Nachfahren des ältesten Arndt-Sohnes Brun blieben in Stadthagen ansässig: Über jeweils drei Generationen, erst als Schuhmacher und dann als Kohlenvögte. Der einzige Sohn des letzten „Fürstlich hessischen Kohlenvogts“ und Kämmerers Johann Peitmann, der 1663 geborene Ludolf, erlernte das Bäckerhandwerk. Er legte in der Familie den Grundstein für eine Bäckermeistertradition, die bis in das 20. Jahrhundert reicht.

Handwerksmeister in einer Kleinstadt – ein Thema allzu belangloser Alltagsgeschichte? Dazu eine lange Familienfolge mit eintöniger Wiederkehr gewöhnlicher Lebensumstände von Generation zu Generation, allenfalls unter wechselnden Vornamen? Vermag Geschichte dieser Art aus vergangenen Jahrhunderten heute noch unsere Aufmerksamkeit erregen? Unabhängig davon, daß gerade Kulturgeschichte des Alltags, von Historikern erst vor wenigen Jahr-zehnten „entdeckt“ und für würdig befunden, überaus fesseln kann, – aus dem Leben unserer Bäckermeister Peitmann gibt es auch so viel Besonderes zu berichten, daß ich um eure Bereitschaft zuzuhören, nicht fürchte.

 Sechs Generationen Peitmann – verwirrende Namen und Daten -auch von Geschwistern und Eheleuten. Sie können uns den Einstieg in diesen Abschnitt unserer Familiengeschichte schwer machen. Der Zugang gelingt leichter über die Häuser, in denen unsere Vorfahren lebten. Die Bäckermeister residierten nacheinander auf zwei Anwesen, die ersten beiden Generationen in der Niedernstraße Nr. 33 und die folgenden in der Niedernstraße Nr. 35.

 Haus Nr. 33 war Peitmannscher Familienbesitz von Anfang an, 1619 von dem zweiten Kohlenvogt Ludolf Peitmann auf einer sogenannten freien Hausstatt errichtet. In der Reihe der Besitzer folgt nach dessen Tod der schon erwähnte dritte Kohlenvogt Johann Peitmann. sodann nacheinander die jeweiligen Söhne, die Bäckermeister Ludolf und Philipp Christian. Aber bereits diese beiden sind beredte Beispiele dafür, daß ein Erbgang gewöhnlich mit Hindernissen behaftet war. Als Kohlenvogt Johann 1676 starb, ging der Besitz drei Jahre später auf „dessen Erben“ über. Zu diesem Zeitpunkt war der Sohn und spätere Bäckermeister Ludolf aber gerade mal 16 Jahre alt. Vermutlich stand erst die Stiefmutter dem Anwesen vor, bis 1690 die älteste Schwester Hedwig Engel, verheiratet mit dem Krämer Konrad Philipp Merklin, als Eigentümerin eingetragen ist. Wohl aufgrund der Kinderlosigkeit dieses Paares kam Ludolf überhaupt für die Erbfolge in Frage. Erst ein Jahr bevor er seine Meisterprüfung ablegte, als abzusehen war, daß er ein Geschäftshaus benötigte, übernahm er 1696 von seiner Schwester Niedernstraße Nr. 33.

 Der Besitzwechsel auf seine eigenen Kinder verlief ebenso wenig linear, was bei seinen zwei Frauen, die ihm insgesamt zehn Kinder gebaren, durchaus nachzuvollziehen ist. Von seinen Söhnen wurde einer Pfarrer – übrigens der einzige Theologe unter den mit „t“ geschriebenen Peit(h)mann – und einer Apotheker; drei Brüder traten in die Fußstapfen des Vaters, allesamt Söhne seiner zweiten Frau Marie Engel geb. Heyne. Julius Friedrich und Ernst Ludolf werden uns später beschäftigen, der Jüngste und Erbe, Philipp Christian, schon jetzt. Dieser, 1719 geboren, übernahm die Bäckerei mit 32 Jahren;erst 8 Jahre nach dem Tode seines Vaters, 7 Jahre nachdem er Bürger geworden war und 4 Jahre nach seiner Eheschließung. Die späte Einsetzung mag wie folgt zu erklären sein:

Philipp Christian hatte 1747, also mit 28 Jahren, die Nachbarstochter Sophie Marie Reineking geheiratet, die das Haus Niedernstraße Nr. 34 mit in die Ehe brachte, in dem das Paar wohl zunächst wohnte, bis es nach dem Verkauf 1750 in das Elternhaus Niedernstraße 33 übersiedelte, das erst noch im Besitz der vergleichsweise jungen Mutter gewesen war. Die Geschichte dieses alten Peitmannschen Familienbesitzes nimmt ein jähes Ende mit einem spektakulären Kriminalfall, den ich euch nicht vorenthalten möchte. 1797, zwei Jahre nach dem Tod von Philipp Christian, veräußerten seine Frau und seine Kinder das Anwesen. Der vergleichsweise niedrige Verkaufspreis von 200 Talern wird ausdrücklich damit begründet, daß das 180 Jahre alte Gebäude baufällig war. Schließlich mögen das Grundstück mit nur 339 qm und das Gebäude für den Betrieb auch zu klein gewesen sein. Käufer war der Spannhalter und Tagelöhner Hans Heinrich Glade. Eine Reihe von Jahren nach dem Besitzwechsel geschah es:

 Glade legte das Haus in Brand – ein Verbrechen, das um so schwerer wiegt, als die dicht an dicht stehenden, strohgedeckten Häuser einer ganzen Straßenzeile hätten in Schutt und Asche versinken können. Dabei galt Glades Anschlag keineswegs dem Haus, sondern seiner Mieterin, einer Frau Mensching, mit der er in Streit geraten war, die er durch Verbrennen kurzerhand aus der Welt schaffen wollte- der juristische Tatbestand des Mordversuchs. Das Gericht verurteilte Glade zu lebenslanger Haft, die er bis zu seinem Tode im Verließ der Festung Wilhelmstein im Steinhuder Meer abbüßte. Noch im Jahr der Tat wird als neuer Besitzer der Hausstätte ein mutmaßlicher Verwandter der Mieterin, der Böttcher Friedrich Gottlieb Menschling, genannt, der sie für 250 Taler erstand.

 Für die Familie Peitmann hatte derweil längst die Ära auf dem Anwesen in der Niedernstraße Nr. 35 begonnen. 1789, also schon acht Jahre vor dem Verkauf von Niedernstraße Nr. 33, erwarben es Philipp Christians Kinder, unter ihnen der Bäckermeister Johann Wilhelm. Bevor wir uns ihm und seiner Familie zuwenden, werfen wir einen Blick auf die bisherige Geschichte dieses Hauses, die auch Peitmann-Familiengeschichte widerspiegelt.

 Das Vorgängerhaus war im 30jährigen Krieg von den Schweden abgebrannt worden. Der Aufforderung des Rates der Stadt im Jahre 1670, die, wie es heißt, wüste Hausstelle wieder zu bebauen, konnte die Besitzerfamilie Bersling offensichtlich nicht nachkommen. Für sie sprang der 3. Kohlenvogt und Kämmerer Johann Peitmann ein, bekanntlich Besitzer der benachbarten Hauses Nr. 33, erwarb das Grundstück und errichtete 1692 ein Gebäude. Nach seinem Tode wechselte es unter seinen Erben mehrfach den Besitzer – von der erwähnten kinderlos gebliebenen ältestens Tochter Hedwig Engel verheiratete Merklin auf seine jüngst Tochter Marie Elisabeth verheiratete Zersen, sodann auf deren jüngsten Sohn Anton Philipp Zersen.

 Erst 1738 wurde dieses alte Peitmannsche Anwesen von den Kindern Philipp Christians, also von Angehörigen der dritten Bäckergeneration, für die Familie gewissermaßen zurückgekauft, das ihr Urgroßvater 117 Jahre zuvor hatte bauen lassen. Für das immerhin 800 qm große Grundstück mit Gebäude zahlten sie 280 Taler. Der älteste unter den Geschwistern war der Bäcker Friedrich Christian. Vermutlich weil er nicht verheiratet war und somit ohne Erben blieb, setzte er 1804, zwei Jahre vor seinem Tod, seinen Bruder, den Bäckermeister Johann Wilhelm, als Universalerben ein und verfügte in seinem Testament, daß die Schwester Sohie Friederike, Ehefrau des Drechslermeisters Hespe, mit 800 Talern und die beiden Töchter der bereits verstorbenen Schwester Eleonore, verheiratete Bäckeramtsmeister Walte, mit je 300 Talern auszubezahlen seien. –Nimmt man den Kaufpreis des Hauses mit 280 Talern als Maßstab, so erscheint die Abfindungssumme von zusammen 1400 Talern als gewaltig. Sie läßt sich nur erklären mit dem materiellen Wohlstand in der Bäckermeisterfamilie Peitmann vor zwei Jahrhunderten.

 In der Reihe der Bäckermeister folgen als Angehörige der vierten und fünften Generation Johann Wilhelms Sohn und Enkel: 1836 Dietrich Wilhelm und 1879 Wilhelm Ludwig Daniel, auf die wir im Laufe des Vortrages noch zurückkommen werden.

Wir sprechen nun schon eine ganze Weile von Bäckermeistern und meinen sicher auch, eine recht klare Vorstellung zu haben von ihrer Arbeit und von ihrem Betrieb, eine Vorstellung, die sich wohl an den traditionellen handwerklichen Strukturen ausrichtet, wie wir sie bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts antrafen, ja trotz zunehmender industrieller Produktion und Großvermarktung auch im Bäckereiwesen heute noch und gerade wieder vorfinden. Wir mögen eine Bäckerei im Blick haben, in der sich alles um Brot und Backwaren drehte, mit großer Backstube, hohen und langen Brotregalen, dazu ein großer Laden, in dem zugleich Lebensmittel – Kolonialwaren, wie man damals auch sagte – angeboten wurden. Eine Bäckerei also, die ein halbes und ganzes Dorf, einen Stadtteil, in jedem Falle aber Hunderte von Menschen versorgte. Können wir dieses Bild auf die Stadthäger Bäckerei Peitmann in der Zeit von 1697 bis 1911 einfach übertragen? Die Frage mag indirekt beantwortet werden mit einer kurzen Darstellung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und sozialer Verhältnisse im Stadthagen zu jener Zeit.

 Versetzen wir uns zurück in die Mitte des 18. Jahrhunderts, in den Zeitabschnitt des zweiten Bäckermeisters Philipp Christian Peitmann. Damals bestand Stadthagen aus einem guten halben Dutzend Straßen mit rund 300 Häusern, in denen etwa 1450 Menschen lebten. Und in dieser Kleinstadt suchten nicht weniger als 20 Bäckereien ihr Auskommen. Bei gleichmäßiger Verteilung in der Brotversorgung kamen somit auf eine Bäckerei nur 15 Häuser bzw. gut 70 Personen. Aber diese Rechnung geht noch an der Wirklichkeit vorbei. Tatsächlich konnte sich der einzelne Betrieb auf viel weniger Kunden stützen, da in vielen Häusern für den Eigenbedarf selbst gebacken wurde.

Mit 20 Bäckern stand dieses Handwerk in Stadthagen keineswegs an der Spitze: Die hielt das Schumacherhandwerk mit 35 Betrieben, es folgten die Höker mit 21, die Bäcker mit 20, die Schneider mit 14 sowie die Nagel- und Grobschmiede mit je 7.

 Aus diesen Angaben kann man unschwer schlußfolgern:

Die Handwerkerfamilien konnten sich von ihrem Gewerbebetrieb allein gewöhnlich nicht ernähren. So lebten sie denn auch hauptsächlich von der Landwirtschaft. Gleich den anderen Handwerkern waren die Bäcker Peitmann eine Ackerbürgerfamilie mit ansehnlichem Besitz an sogenannten Saat- und Hudekämpen sowie mit einem beträchtlichen Viehbestand. Um 1750 bewirtschafteten die Bürger in Stadthagen insgesamt mehr als 4000 Morgen Saat- und Hudeland, außerdem besaßen sie die Weidegerechtsame über weitere 1400 Morgen. Sie hatten 120 Pferde, 296 Milchkühe, 155 Rinder, 434 Schweine, dazu Ziegen und Schafe. Die vier großen Straßenkorporationen Niedernstraße, Obernstraße, Klosterstraße und Echternstraße beschäftigten eigens je einen Hirten, der das Vieh auf die zuständige Weide trieb und hütete. Jede Straße stellte ein gesondertes Hirtenhaus zur Verfügung.

Erst mit Einführung der Gewerbefreiheit 1860 ging die Anzahl der – man möchte fast sagen – „nebenberuflichen“ oder treffender ausgedrückt nebenlandwirtschaftlichen Handwerksbetriebe mehr und mehr zurück. Zu den schließlich Überlebenden gehörte auch die Bäckerei Peitmann. Dieses Unternehmen wurde von den damals lebenden Bäckermeistern Dietrich Wilhelm und Sohn Wilhelm Ludwig Daniel erfolgreich durch diese schwere Zeit wirtschaftlichen Umbruchs geführt und erhalten.

 Auch wenn die Handwerker gewissermaßen im Haupterwerb Ackerbürger waren, so enthielten die Statuten der Stadt für jedes Handwerk ins einzelne gehende Vorschriften, die keinen Mißbrauch zu Lasten der Bevölkerung zuließen und die peinlich genau überwacht wurden.

 Den Statuten des 18. und 19. Jahrhunderts für das Bäckerhandwerk entnehmen wir:

„Die geschworenen Gildemeister des Bäckeramtes (also die jeweils gewählten Bäckeramtsmeister) sollen darüber halten (d. h. wachen), daß ihre Gildebrüder nach Einkauf des Korns und der Taxordnung Waizen- und Roggenbrod, ohnvermischt (mit) Gerste(n), fein und wohl ausbacken, auf föllig Gewicht backen. Wer Brod, so ungar oder leicht ist, zu kaufen hat (also anbietet und verkauft), den sollen die Gildemeister drum bruchen (also strafen), auch das unzulässige Brod wegnehmen und unter die Armen vertheilen, bey Strafe (von) 1 Thaler …

Dahero dann unsere Wrögeverordneten (das sind Personen, die Masse und Gewicht püfen) darauf zu achten und das Brod bey den Bäckern von Zeit zu Zeit zu untersuchen, auch die Schuldigen zu Bestrafung anzuzeigen haben sollen.

Sollte ein gänzlicher Mangel an Brod entstehen (also die Bäcker versäumen, genügend Brod zu backen), und so oft solches geschieht, so soll ein Bäckeramt dem Rath 1 Reichsthaler Bruch (also Strafe) verfallen sein, und haben unsere Wrögeverordneten darauf gleichmäßig zu achten.

Die Bäcker sollen das grobe und feine Brod und weis Guth (Weißmehlbackwaren) nicht nur gut und gar ausbacken, sondern auch dafür einstehen, daß alles das in der Bäckertaxe vorgeschriebene Gewicht habe. Auch hilft die Entschuldigung nicht, daß das verkaufte Brod oder weiße Guth von anderer Sorte sey, als in der Taxe enthalten ist …“.

 Zur Entlastung unserer Familie sei erwähnt, daß in den Akten kein Hinweis dafür zu finden war, einer der Bäcker Peitmann habe die Statuten schlitzohrig zu umgehen versucht, indem er unter-gewichtiges Brot backte und einfach darauf verwies, es handele sich um eine andere, nicht in der Preisliste aufgeführte Brotsorte.

Diese, dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtete Backverordnung macht deutlich, daß das nebenlandwirtschaftliche Handwerk auch für die Peitmann dennoch keine Nebensache war. Eine große Anzahl von Familienmitgliedern ließ sich in diesem Beruf ausbilden. Von den 17 Söhnen in den auf den ersten Bäckermeister Ludolf Peitmann folgenden Generationen erlernten 12 das Bäckerhandwerk, davon legten 10 die Meisterprüfung ab. In jeder Geschwisterreihe befanden sich im Schnitt also 2 – 3 Bäcker, davon je 2 Meister. Erwähnen wir auch noch die Berufe der anderen 5 Söhne: Je einer Pfarrer, Apotheker, Buchbindermeister, Oberpostrat und Chefarzt. Und die 8 Schwiegersöhne waren Bäckeramtsmeister, Schuhmachermeister, Schmiedemeister, Drechslermeister, Chirurgus, Kaufmann, Lehrer und Landrat.

Der Einführung der Gewerbefreiheit bewirkte einen Einschnitt in der Berufswahl und eine Abkehr von der handwerklichen Bindung. Unter den Söhnen sind 3 der 5 Nichtbäcker und unter den Schwie-gersöhnen alle 4 Nicht-Handwerker der Zeit nach 1860 zuzordnen.

 Von den 10 Bäckermeistern Peitmann waren 5 auch Senatoren, also Mitglieder des Rates der Stadt. Der 1711 geborene Bäckermeister Julius Friedrich Peitmann aus der zweiten Generation, der in dem von seiner Frau Anna Margarethe Wiese mit in die Ehe gebrachten Haus Echternstraße 20 lebte und kinderlos blieb, hatte am längsten öffentliche Ämter inne; er war 27 Jahre lang Senator und anschließend bis zu seinem Tode 1796 zehn Jahre Kämmerer.

Damit wollen wir es in der familienkundlichen Statistik bewenden lassen und uns wieder konkretem Geschehen in Familie und Betrieb zuwenden. Beide Bereiche waren so eng miteinander verflochten, daß Probleme im einen nicht ohne Folgen im anderen blieben. Hier ein Beispiel für Auswirkungen von schwerwiegenden Störungen im menschlichen Miteinander.

 Der Bäckermeister in der dritten Generation, Johann Wilhelm Peitmann, war zweimal verheiratet gewesen. Seine erste Frau Sophie Struckmann hatte ihm den Sohn Carl Wilhelm geboren. Aus der zweiten Ehe mit Dorothea Lucie Bergmann gingen die Kinder Dietrich Wilhelm und Dorothea Friederike hervor. Als der Vater 1821 starb, war der Älteste, Carl Wilhelm, 20 Jahre und dessen Stiefgeschwister elf und neun Jahre alt. Auch wenn über das Verhältnis Carl Wilhelms zu seiner Stiefmutter im folgenden Jahrzehnt direkt nichts überliefert ist, so muß es sich doch mehr und mehr eingetrübt haben, wohl einhergehend mit Kompetenz-streitigkeiten im Betrieb. Zur Fortführung der Bäckerei war die Witwe auf Carl Wilhelm offensichtlich angewiesen, der wohl auch noch im Hause wohnte. Ob er als Fachkraft – die einzige verbliebene aus der Familie – oder gar als Betriebsleiter die mögliche Bevormundung durch seine Stiefmutter nicht mehr hinzunehmen gewillt war, ob er sich gegenüber seinen Stiefgeschwistern zurückgesetzt fühlte, eben nur die Arbeit zu verrichten hatte, ohne Aussicht darauf, den Betrieb einmal übertragen zu bekommen – ob andererseits die Peitmann-Witwe Carl Wilhelms vermutlich aufsässiges Benehmen im Betrieb und in der Familie nicht mehr erdulden konnte – 1832 kam es zu dem endgültigen und überdies öffentlichen Bruch, ein Jahr nachdem der inzwischen zum Bäckermeister Ernannte Bürger in Stadthagen geworden war und geheiratet hatte. Witwe Dorothea Lucie beantragte beim Rat der Stadt für ihre Kinder Wilhelm, 21 Jahre alt, und Friederike Dorothea, 18 Jahre alt, einen Vormund, weil sie (ich zitiere) „mit dem Stiefsohn Carl Wilhelm nicht fertig werden konnte“.

 Die Bitte um einen Beistand für noch so alte Kinder mag das Ausmaß des Zerwürfnisses aufzeigen, aber auch die feste Absicht, nach dem wohl aus betrieblichen Gründen gebotenen aufreibenden Stillehalten nun, da der eigene Sohn 21 Jahre alt geworden war – sich von dem auch inzwischen verheirateten Carl Wilhelm zu trennen. – Carl Wilhelm begründete übrigens einen eigenen Nebenzweig der „t“-Linie, von der Nachfahren noch heute in Stadthagen ansässig sind, z.B. in den Familien Tölke, Stock und Laubert.

 Auch wenn die Bäckerei nur eine Säule familiärer Existenzsicherung unserer Stadthäger Vorfahren war, der Meisterbrief galt als selbstverständliches Ausbildungsziel. Voraussetzung dafür war u.a. die Ableistung einer Wanderzeit, die Mitte des 19. Jahrhunderts mindestens drei Jahre betrug. Soweit bekannt, verbrachten alle Stadthäger Bäckergesellen Peitmann einen Teil davon in und um Hannover, in einer großen Stadt also mit ganz unterschiedlichen Betrieben, in denen man viele neue Erfahrungen und Kenntnisse sammeln und dennoch für das Elternhaus erreichbar sein konnte. Im Jahre 1736 waren die beiden 25jährigen Zwillingssöhne des ersten Bäckermeisters Ludolf Peitmann gleichzeitig in Hannover-Ricklingen in Diensten: Ernst Ludolf bei einem Bäckermeister Thies und Julius Friedrich bei einem Bäckermeister Peppermüller. Dieser Aufenthalt wurde von einem schweren Unglück überschattet, worüber ich so ausführlich berichten möchte, wie es uns überliefert ist, auch wenn ich damit den Rahmen des Vortrages ein wenig sprengen sollte. Nur selten sind Ereignisse ähnlicher Art in jener Zeit von Zeugen und Beteiligten so ins Einzelne gehend dokumentiert.

 Es ist Sonntag, der 12. August 1736, ein schwüler Sommertag. Ernst Ludolf nutzt die freien Stunden, um im nahen Leine-Fluss ein kühles Bad zu nehmen. Von diesem Ausflug kehrt er nicht zurück. Am späten Nachmittag findet der Müllermeister Bahe, der an der Leine eine Wassermühle betreibt, eine angeschwemmte Leiche und bahrt sie auf seinem Hof auf. Es ist die des vermißten Bäckergesellen. Im Kirchenbuch von Ricklingen kann man den lapidaren Satz lesen, Ernst Ludolf Peitmann sei „unvermutet beim Baden ertrunken“.

 Was sich an den folgenden drei Tagen, solange die Leiche über der Erde stand, zutrug, könnte für eine spannende Kriminalgeschichte ausgedacht worden sein: Es gab zwei gegeneinander arbeitende Parteien, unausgesprochene Verdächtigungen, Vorwürfe, undurch-sichtige Motive, mysteriöses Handeln.

 Nachdem beiden Bäckermeistern, bei denen die Brüder in Arbeit und Brot standen, Nachricht gegeben worden war, machten sie sich zusammen mit dem Bruder des Verstorbenen, Julius Friedrich Peitmann, noch gleich am Sonntagabend auf den Weg zum zuständigen Pastor in Ricklingen, um das Begräbnis zu bestellen. Dabei bescheinigten sie dem Ertrunkenen „guten Wandel und besonders lobwürdiges christliches Verhalten“. Sie hätten sich entschlossen, den Verstorbenen „still beerdigen“ zu lassen, sobald das zuständige königliche Amt Koldingen die Leiche freigegeben habe. Eine Begründung für ein Begräbnis in aller Stille gaben sie dem Pastor nicht. Wir können heute darüber nur mutmaßen.

 

    • Sollte es eine dem tragischen Tod angemessene Feier sein? 

 

    • Nahmen sie Rücksicht darauf, daß keine weiteren Verwandten aus Stadthagen anwesend sein konnten? 

 

    • Oder lagen doch andere Gründe, die nur Meister und Bruder kannten, dafür vor, keinerlei Aufsehen zu erregen? 

 

Hierfür sprechen die nun folgenden Ereignisse.

 Am Morgen nach dem tödlichen Unfall, also am frühen Montag, erschienen zwei andere Bäckermeister beim Ricklinger Pastor und bestellten auch ein Begräbnis für Ernst Ludolf Peitmann, diesmal aber eine öffentliche Beerdigung mit Leichenpredigt. Es waren die Honigkuchenbäcker Wehrsen „von der Stadt“ und der „hiesige“ – also Ricklinger – Bäcker Seelhorst. Beide forderten, alles sollte so, wie es in Hannover Brauch sei, ausgerichtet und bezahlet werden. Der Pastor ordnete daraufhin ein solches Begräbnis an – unter einer Bedingung: Erst müsse die schriftliche Erlaubnis der Justiz-Kanzlei des Amtes Koldingen vorliegen, d.h. die Leiche müsse amtlich freigegeben sein.

Doch es geschah in dieser Angelegenheit nichts: Das Schriftstück vom Amte Koldingen traf nicht ein; und niemand kümmerte sich weiter um das Begräbnis. Die Zeit verrann, doch die Leiche durfte den hohen Temperaturen nicht länger ausgesetzt sein. Zu verstehen, daß der Pastor ratlos war. In seiner Not ließ er einfach den Müllermeister Bahe zu sich kommen, auf dessen Hofe der Tote noch immer aufgebahrt lag. Um sich rechtlich abzusichern, schickte er den Müller zum Gogreven nach Wülfel, d.h. zum Vorsitzenden des örtlichen Gerichtes, heute würden wir Amtsrichter sagen, und ließ Bericht erstatten, was Herr Bahe „aus christlicher Nächstenliebe“ tat.

Das war Dienstagmittag. Gleich am Nachmittag kamen Bäckermeister Thies – der Arbeitgeber des Verstorbenen – und der Bruder Julius Friedrich Peitmann erneut zum Pastor und „pressierten wider die Leichenpredigt“, d.h. sie suchten mit aller Macht das von dem städtischen Bäckermeister aufgegebene öffentliche Begräbnis zu verhindern. Warum? – Wir werden es nicht gewahr. Der Pastor teilte den beiden mit, daß es überhaupt erst einmal darauf ankäme, die Erlaubnis des Königlichen Amtes zu erhalten; bis dahin dürfe ohnehin nichts erfolgen.

Am Abend desselben Tages erschienen dann der Stadtphysikus, heute als Amtsarzt bezeichnet, mit dem Chirurgus, also dem Sezierarzt, dem Auditor (das ist der Justizbeamte) und dem Gogreven, damit der Körper des Toten seziert würde. Obduktion ist ja die heutige Bezeichnung dafür.

Aber die ganze Kommission hatte die Rechnung ohne den Honigkuchenbäcker Wehrsen aus Hannover gemacht, der wohl eine hohe Funktion in Stadt und Zunft bekleidete. „Mit harten und ungestümen Worten“, heißt es, verwehrte er die angeordnete Leichenöffnung „par force“. Worauf „diese sämtliche Gesandtschaft untätig wieder abreiste“.

 Man fragt sich:

 Warum wollten Arbeitgeber und Bruder unbedingt eine stille Beerdigung und 

  • warum wehrten sich die Repräsentanten des Handwerks, wie Bäckermeister Wehrsen, gegen die Obduktion und traten für ein öffentliches Begräbnis ein?

Am Mittwoch nun ließ das Leichenamt von Hannover den verstorbenen Peitmann zur Ricklinger Kirche bringen, um ihn beerdigen zu lassen. Er wurde vor dem Altar aufgebahrt. Alle Bäckergesellen und viele Meister und Einwohner der Stadt kamen in die Kirche, um an der Trauerfeier teilzunehmen. Ich zitiere aus dem Bericht des Pastors: „Die Kirche war von Leuthen aus der Stadt, Fremden und Hiesigen, ungeachtet der drückenden Arbeit in der Ernte, ganz voll Menschen“.

Obwohl alles bereitet war und alle warteten, verwehrte der Pastor den Beginn der Feier, denn es fehlte immer noch die behördliche Erlaubnis vom Königlichen Amt in Koldingen.

Wohl hatte ein Knochenhauer namens Heine ein Attest vorgelegt, aber das ließ der Pastor nicht gelten, denn Heine war ein Bruder der Mutter des Verstorbenen und somit als Verwandter befangen. 

Menschen in steifer Trauerkleidung dicht gedrängt auf harten Kirchenbänken bei frühnachmittäglicher Sommerhitze. – Während die Gemeinde so ausharrte, wurde nun erst noch um eine gültige Bescheinigung nachgesucht. Endlich, endlich, abends um 18 Uhr erreichte ein Königliche Justizkanzleibote mit dem Script im verschlossenen Umschlag die Kirche. Die Verfügung lautete, daß „der Körper ohne Sektion dürfe und solle beerdigt werden“.

Ein von der Not der Situation beeinflußtes amtliches Zugeständnis? Jetzt erst ließ der Pastor läuten – drei, vier oder mehr Stunden, nachdem die Trauergäste die Kirche betreten hatten. 

Dem Gottesdienst schloß sich die Prozession an; zuerst folgten die Bäckergesellen dem Sarg, dann die Meister und die drei Brüder des Verstorbenen; diese waren wohl der schon erwähnte Zwillingsbruder Julius Friedrich, der 22jährige spätere Apotheker Conrad Gottlieb in Pattensen und der 17 Jahre alte spätere Bäckermeister Philipp Christian in Stadthagen. 

Der Ricklinger Pastor beschreibt auch Äußerlichkeiten dieser vor 264 Jahren gehaltenen Beerdigung:

Alle Männer waren gekleidet „in schwarzen und anderen Mänteln und mit der Tule“, einem schwarzen Netztuch, das um den Hals bzw. über dem Kopf getragen wurde. Alles sei „aufs prächtigste bestellet und durchgeführet: das große, schwarze Leichentuch über dem Sarg, Wachskerzenlicher aufgetragen, die Kasual-Predigt gehalten, schließlich die Grabrede mit Personalien gehalten und auch als Schrift an Herrn Thieß gegeben“.

Dennoch müssen dem Pfarrer der Streit unter den Beteiligten, das mehrfache Hin und Her und – wie er noch ausdrücklich anfügt – die zu gering entrichtete Gebühr arg zugesetzt haben.

Im Kirchenbuch pflegte er eine normale Beisetzung mit zwei bis drei Zeilen zu vermerken; für die von Ernst Ludolf Peitmann verwendet er knapp drei Seiten. Der Eintrag schließt mit diesem Satz: „Ich habe von Samstag abend bis diesen (Mittwoch-)Abend täglich viel Überlauf und Verdruß gehabet, daß ich mir gar… Schaden an meiner Gesundheit getan habe“. – Ist euch aufgefallen, daß der Pastor mit dieser Bemerkung auch den Beweis dafür geliefert hat, er habe gesundheitlichen Schaden genommen? Sein Zeitgedächtnis hatte offensichtlich dabei gelitten. Ernst Ludolf ertrank am Sonntag; wie konnte der Pfarrer den Verdruß da schon am Samstagabend haben? 

Auch in der Familie wird von diesem beklagenswerten Unfall mit seinem Aufsehen erregenden Nachspiel über Generationen hinweg erzählt worden sein. Ob allerdings noch der Urgroßneffe des Verunglückten, Wilhelm Ludwig Daniel, davon Kenntnis hatte?

Dieser verbrachte von 1858 bis 1861 zweieinhalb seiner neun Wanderjahre in Hannover, wie aus seinem noch im Familienbesitz befindlichen Wanderbuch zu ersehen ist. Weitere seiner Stationen waren Bremen, Vegesack, Hamburg, Altona, Berlin und Potsdam. Wie alle seine wandernden Kollegen hatte er sich bei der Polizeibehörde eines jeden Ortes zu melden und vor der Abreise auch das nächste Ziel eintragen zu lassen. Er durfte die im Wanderbuch vorgeschriebene Reiseroute ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht ändern. „Des Bettelns und zwecklosen Herumtreibens hat sich der Inhaber bei gesetzlicher Strafe zu enthalten“. 

Von Wilhelm Daniel Ludwig, der letzte unserer amtierenden Stadthäger Bäckermeister, wurde manches auch noch mündlich überliefert. 

Schon drei Monate nach seiner Rückkehr von der Wanderschaft starb sein Vater, der Bäckermeister und Senator Dietrich Wilhelm, 56jährig. Nach Übernahme des Betriebes, Ablegung der Meisterprüfung und Eheschließung mit Elise Wollenweber zahlte er seine fünf jüngeren Geschwister aus. Die Niederschrift des Testaments aus dem Jahre 1872 ist erhalten geblieben, die uns bemerkenswerte Einblicke in Familie und Betrieb gewährt.

Die beiden ausgeheirateten Schwestern Dorothea, verheiratet mit dem Bückeburger Schuhmachermeister Oltrogge, und Elise, Ehefrau des Bückeburger Lehrers Möller, bekamen jeweils 420 Reichstaler. Bruder Heinrich, Bäckermeister in Nienburg, erhielt 570 Reichstaler. Für Bruder August, der spätere Buchbindermeister und Vater unseres Künstlers, Friedel Peitmann, sowie für Schwester Friederike, sodann verheiratet mit dem Stadthäger Kaufmann Harten, wurden je 50 Reichstaler „in die Sparkasse getan“. Für die noch lebende Mutter Johanne geb. Ehlerding wurden „für den Fall, daß sie deren bedürfe, die hintere Stube nebst Vorplatz und zwei Kammern reserviert“. – Sie erreichte ein Alter von 80 Jahren und hat noch 21 Jahre davon Gebrauch machen können. – 

Wörtlich gebe ich hier die die Erben betreffenden Passagen des Testaments wieder:

„Der Bruder Wilhelm übernimmt das auf nebenliegendem Verzeichnis (meist zum Geschäft gehörende) aufgestellte Inventar zu der Summe von 657 Reichstalern und 12 Silbergroschen. Er bekommt vorab wie seine Schwestern 420 Reichstaler und extra für fünfjährige Führung des Geschäftes 200 Reichstaler, also Summa 620 Reichstaler. Er bezahlt also an die Mutter vorab 37 Reichstaler und 12 Silber-groschen.

Bruder Wilhelm mietet das Haus für 70 Reichstaler, wofür die Mutter Kost und Pflege hat. Er mietet die acht Morgen Land und Wiese a Morgen zu 7 Reichstalern, gleich 56 Reichstaler und den Garten zu 14 Reichstalern, Summa 70 Reichstaler. Die Abgaben im ganzen steht Wilhelm“. 

Zwei Bemerkungen zu diesem hochinteressanten Abfindungsdokument: 

– Die vergleichsweise hohe Summen verweisen auf ein blühendes 
Geschäft.

– Es besticht das modern anmutende Rechnungswesen in Betrieb 
und Familie mit der strikten Trennung des Erben und Inhabers als 
Person vom Geschäft. 

Wilhelm brachte mit Fleiß und Bescheidenheit sein handwerkliches Unternehmen in die Höhe und verhalf seiner Familie zu Wohlstand und Ansehen. Er ließ 1877 auf dem Grundstück Niedernstr. 35 anstelle des alten Fachwerkhauses einen festen Steinbau errichten. Seine Frau Elise führte den großen Haushalt mit den Knechten und Mägden sowie den Laden, den später auch Tochter Magdalene mit versorgte. So konnte das Ehepaar den nicht im Handwerk verbliebenen Kindern eine gute Ausbildung zukommen lassen. Sohn Wilhelm entschied sich nach dem Abitur für die höhere Postlaufbahn und war zuletzt Oberpostdirektor im Paketpostamt des Hauptbahnhofes in Hannover. Heinrich wurde Mediziner und war lange Zeit angesehener Chefarzt der Chirurgischen und Gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses Bethanien in Dortmund Hörde. Die einzige Tochter Magdalene, Krankenschwester, heiratete den Landrat Gebbers in Bückeburg.

Wilhelm Ludwig Daniel gehörte als Senator dem Stadtrat an. Außerdem war er Kirchenvorsteher und Kirchenrechnungsführer. DieFrömmigkeit in der Familie ging zurück auf Wilhelms Mutter, die ihre 7 Kinder nach übereinstimmender Überlieferung der Enkel im Gottvertrauen erzogen hatte und als besonders mildtätig galt. 

Bis etwa zum 1. Weltkrieg waren in der Stadthäger Martini-Kirche an der 2. linken Bankreihe vom Mittelgang drei Messingschilder mit dem Namen „Peitmann“ angebracht. 

Als Wilhelm 1902 im Alter von 64 Jahren starb – seine Frau überlebte ihn um 24 Jahre – schien die Wahrung der Bäckertradition im Familienbetrieb gesichert, da auch zwei seiner Söhne das Bäckerhandwerk erlernt hatten. Der jüngste und nicht erbberechtigte, Bäckermeister Eduard, zog mit seiner Familie nach Bochum-Dahlhausen, um dort als Kaufmann in eine Firma einzutreten. Der älteste, Bäckermeister Georg, war für die Fortführung des Betriebes vorgesehen. Doch Krankheiten gestatteten ihm nicht die Ausübung des erlernten Berufes, so daß er als Beamter in die Landesver-sicherungsanstalt Hannover überwechseln mußte. Daraufhin wurde 1911 die Bäckerei Peitmann dem Bäckermeister Münnich übertragen, nachdem sie 221 Jahre lang ununterbrochen im Familienbesitz gewesen war. Seit 1953 sind Angehörige der Familie Lohmeier Inhaber des Geschäftes. 

Mochte die B ä c k e r e i Peitmann nicht mehr bestehen, die F a m i l i e n t r a d i t i o n Peitmann wurde in der Stadt weiter wachgehalten, alle Jahrzehnte hindurch. Ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre boten die noch lebenden und in Stadthagen und Bückeburg ansässigen Enkel Wilhelm Ludwig Daniel Peitmanns, Rolf und seine Frau Lilly, Dr. Anneliese Maaß-Peitmann, Hildegard und ihr Ehemann Dr. Sigfried Heesemann sowie Erich mit Frau Ilse dem nun gegründeten Arbeitskreis der Peit(h)mann-Familien und dem Vorstand des daraus hervorgegangenen Familienverbandes Peit(h)mann e.V. immer wieder Anlaufstelle und Heimstatt. Wir erinnern uns dankbar ihrer herzlichen Gastfreundschaft . Sie förderten unsere Familienforschung auf breiter Ebene, regten an, bauten Brücken und halfen. Schließlich sind ihre Namen aufs engste mit dem großen Familientreffen 1980 in Stadthagen verbunden, an das wir hier und heute zurückdenken. Damit schließt sich der Kreis in meinem Vortrag.

* * * * * *

Fast drei Jahrhunderte lang waren die beiden Anwesen in der Niedernstraße jeweils für lange Zeit Schauplätze unserer Familiengeschichte.

Wohl jeder von uns Nachkommen, der durch die Niedernstraße geht, wird im Anblick der Giebelfront sich dessen gewärtig sein, vielleicht gar einen Augenblick innehalten. 

Auch wir sind heute vor den Häusern Nr. 33 und 35 stehengeblieben, haben die Türen vergangener Jahrhunderte geöffnet und uns umgeschaut, sind unseren Vorfahren begegnet, die in ihnen lebten, den Bäckermeistern Peitmann und ihren Familien – begegnet im Spiegel alter Dokumente, die uns eindrückliche Bilder vom immer wiederkehrenden und doch stets neuen Hoffen und Mühen, Scheitern und Gelingen von uns Menschen vor Augen führten.

 

Wilhelm Meier-Peithmann