You are currently viewing Peit(h)mann und die alte Rintelner Universität  (18.9.1999)

Peit(h)mann und die alte Rintelner Universität (18.9.1999)

Peit(h)mann und die alte Rintelner Universität

                                                                Vortrag auf dem Familientag in Rinteln

 

 

                                                                                                              

                                                                                                                

 

Liebe Verwandte und Freunde!

 Der Blick von unserem Tagungsort Grafensteinerhöh auf das zu unseren Füßen liegende Rinteln scheint die anpreisenden Worte in einer Werbeschrift zu bestätigen: Eine schöne Stadt mit viel Tradition an der schönen, viel besungenen Weser. Auf dem nachfolgenden Rundgang durch die alte Innenstadt werden wir die sehenswerten steinernen und hölzernen Zeugen früherer Jahrhunderte dann direkt in Augenschein nehmen können: malerisches Fachwerk, geschnitzte und gemalte Ornamente im Gebälk, Giebel der Weserrenaissance, alte Burgmannshöfe, Türme der Gotik.

 Einen wesentlichen Anteil an der reichen Geschichte der Stadt Rinteln hat die alte Universität. Sie war zwei Jahrhunderte lang ein Zentrum für Wissenschaft und Forschung weit über die Grenzen der Grafschaft Schaumburg-Lippe hinaus, bis sie durch die französische Fremdherrschaft 1810 aufgelöst wurde. Doch daß sie überhaupt in Rinteln Fuß fassen konnte, gleich in den ersten Jahren nicht durch Krieg, Intrigen und Seuchen aufgerieben wurde, grenzt an ein Wunder. Ein Angehöriger unserer Familien stand vor über dreieinhalb Jahrhunderten im Kampf um die Erhaltung dieser schaumburg-lippischen Landesuniversität: Anton Peitmann.

 Auf dem heutigen Familientag wollen wir das bewegte Leben des Rintelner Professors für Philosophie, Anton Peitmann, nachzeichnen, uns sein Lebensbild so vor Augen führen, daß sich uns in ihm zugleich die frühe Geschichte der Universität Rinteln widerspiegelt.

 Anton Peitmann wurde im Jahre 1593 als Sohn des gräflichen Kohlenvogts Jobst Peitmann in Obernkirchen geboren. Sein Vater war bekanntlich der erste in der Reihe von drei Generationen Kohlenvögte Peitmann. Ein glücklicher Umstand, daß einige Jahre nach Antons Geburt eine bedeutsame Epoche des Aufbruchs in der schaumburgischen Landesgeschichte einsetzte. Diese hoffnungsvolle Zeit, die auf Unruhejahre der Reformation und zwischenzeitlicher Kriege mit Verwüstungen und Verschuldungen folgte, ist verbunden mit dem Namen des Grafen und späteren Fürsten Ernst. Anton Peitmann war 8 Jahre alt, als Graf Ernst von Holstein-Schaumburg im Jahre 1601 die Regierung in Stadthagen und Bückeburg übernahm.

 Ernst, ein Sohn aus der 2. Ehe des Grafen Otto IV., war geprägt von seiner geistig hochstehenden Mutter Gräfin Ursula. Diese, bekanntlich eine Tochter des Luther-Freundes Ernst der Bekenner von Braunschweig und Lüneburg, hatte den jungen evangelischen Theologen Jakob Dammann als persönlichen Geistlichen vom Celler Schloß mit in das noch katholische Stadthagen gebracht. So liegt es nahe anzunehmen, daß die Ausbildung des jungen Ernst, die Wahl tüchtiger Erzieher und Lehrer, stark unter dem Einfluß des Reformators der Grafschaft Schaumburg, des Peithmann-Verwandten Dammann stand.

 Ernstes ganze Sorge galt dem Aufstieg und der Wohlfahrt seines Landes und vor allem seiner Bewohner, für absolutistische Fürsten keineswegs selbstverständlich. Voraussetzung dafür war die rasche Tilgung der auf dem Kleinstaat lastenden Schulden, die von den Kriegen und Verheerungen in der Regierungszeit seines Vater herrührten. Das gelang Ernst mit Hilfe seiner Kohlenbergwerke, die ihm immer größere Einkünfte einbrachten. So war er bald in der Lage, sich dem Ausbau des Bildungswesens zuzuwenden, eine dringende Maßnahme, denn es gab mit der Städthäger Lateinschule nur eine Lehranstalt im ganzen Land. Nun ordnete Graf und Fürst Ernst die Errichtung von Landschulen auch in vielen Dörfern an.

 In dieser Zeit des wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs konnte der hochgebildete und weitgereiste, in der Innenpolitik erfolgreiche und außen anerkannte Landesherr einen Glanzpunkt in seiner Kulturpolitik setzen: die Gründung einer eigenen Landesuniversität.

 Die interessante Vorgeschichte dazu wirft ein bezeichnendes Licht auf Beweggründe und Handlungsweisen Ernsts von Holstein-Schaumburg. Wir folgen hier dem schaumburg-lippischen Geschichtsschreiber Eberhard David Hauber, Oberprediger in Stadthagen, in seinem 1728 erschienenen Werk „Primitiae Schaumburgicemae“:

 „Vorher hatte der Graf beabsichtigt, ein Armenhaus zu bauen, in dem alle Armen des Landes untergebracht werden könnten; das hatte er durch ein Gelübde kundgetan. Um nun vor sich selbst und dem Publikum zu rechtfertigen, ließ er eines Tages seine Räte zusammenkommen und verlangte von ihnen, sie möchten über diese Angelegenheiten selbst urteilen und entscheiden. Es kam zu einer Debatte. Der Graf entschied sich für das Votum seines Rates Anton von Wietersheim. Nach langer, reiflicher Überlegung antworteten alle, es sei eine heilige, gottgefällige, rühmliche und fromme Tat, ein Heim für die Armen bauen zu lassen, aber eine noch viel heiligere, gottgefälligere, rühmlichere und frommere, eine höhere Lehranstalt als Stätte der Frömmigkeit und der freien Künste zu schaffen.“

 So gründete Graf Ernst 1610 ein sogenanntes Gymnasium illustere, eine Universität im Aufbau, ausgestattet mit ordentlichen Professoren und mit einem jährlich wechselnden Rektor magnificus.

 Der Absicht des Grafen, aus seiner Lateinschule möglichst rasch eine Volluniversität zu machen, lag folgende Überlegung zugrunde: Von Helmstedt im Osten bis zum Rhein im Westen sowie von Marburg im Süden bis zur Nordsee im Norden gab es damals keine Universität, wohl aber eine Anzahl hochstehender Gymnasien, aus denen protestantische Absolventen die neue Hochschule besuchen würden. Außerdem lag Graf Ernst eine Heimatuniversität für seine Untertanen aus Schaumburg und Holstein am Herzen. Diese sollten dann mit Stipendien unterstützt werden.

 Ein solches gräfliches Stipendium erhielt auch Anton Peitmann im Jahre 1616, nachdem er ein Jahr zuvor als Student der Theologie auf das akademische Gymnasium in Stadthagen gekommen war. Vorher hatte er schon ein Jahr lang an der Universität Helmstedt studiert.

 Aber Anton ist nicht der erste Peit(h)mann, der auf der neuen Hochschule des Landes studierte und eine gräfliche Zuwendung bekam. In der einzigen erhalten gebliebenen vollständigen Studentenliste aus dem Jahr 1615 steht unter der Nummer 23  „Dietrich Peithmanns Sohn“.

 Es fehlt die Angabe des Vornamens; wir vermissen jeglichen weiteren Hinweis. Da bietet es sich auf einem Familientag geradezu an, euch die Aufgabe zu stellen, den Namen dieses Peithmann-Sohnes herauszufinden. Auf den zurückliegenden Familientagen war vom Vater des Studenten, von Dietrich Peithmann, wiederholt die Rede; so dürfte die Antwort nicht schwer fallen. …..

Es handelt sich um den späteren Stadthäger Oberprediger Ludolf Peithmann, dessen überlebensgroßes Bild in der St.-Martini-Kirche hängt. Er war 1611 nach Helmstedt gegangen, besuchte dann 1615 wieder das Stadthäger akademische Gymnasium. Im Juni dieses Jahres wurde ihm das große Stipendium verliehen. Damit waren jährlich 30 Taler landesherrlichen Zuschusses verbunden. Die Inhaber des „Stipendium majus“ wohnten im Studentenheim und hatten alles frei. Es war gedacht für Stipendiaten, die „von Haus schlecht gestellt“ waren. Wir können uns allerdings kaum vorstellen, daß dieser Umstand für den Sohn des Stadtkämmerers Dietrich Peithmann zutraf. Bei der Zuteilung an ihn mögen auch Beziehungen eine Rolle gespielt haben.

 22 Studenten kamen in den Genuß des großen Stipendiums; für 50 stand das „Stipendium minus“ zur Verfügung, denen der Graf wöchentlich 12 Groschen zukommen ließ. Insgesamt dürften jeweils bis zu 120 Studenten in Stadthagen eingeschrieben gewesen sein.

 1621 verlegte Fürst Ernst die ein Jahr vorher als Volluniversität anerkannte Hochschule nach Rinteln. Nicht wenige Stadthäger waren froh darüber, die Studenten loszuwerden, von denen viele groben Unfug trieben, auch Bürger beleidigten, beschimpften, bedrohten. Dennoch bedeutete der Abzug der Hochschule einen herben wirtschaftlichen Verlust für Stadthagen. Die zum Teil recht wohlhabenden auswärtigen Studenten, die Professoren und anderen Bediensteten, der oft hier anwesende fürstliche Hof und seine Beamten sorgten für Umsatz. Doch bot die Stadt Rinteln innerhalb des kleinen Schaumburg geographische Vorteile: die vortreffliche Lage an der Grenze zwischen Niedersachen und Westfalen und der schiffbare Weserstrom; zudem gab es im Besitz des Benediktinerklosters, das der Universität als Unterkunft dienen sollte, zur Genüge Grundstücke, die der Fürst für die Unterhaltung der Universität benötigte.

 Der Student Anton Peitmann aus Obernkirchen hielt sich derweil noch in Helmstedt auf. Im November 1617, im September 1619 und Ostern 1620 wurde ihm ein herzogliches Stipendium für den Aufenthalt im Studentenheim zuerkannt. Er legte dort auch die akademischen Prüfungen ab: nach der theologischen Disputation – wissenschaftliches Streitgespräch – im Februar 1619 folgte im Juni 1621 die Promotion zum Magister der Theologie.

 Antons wissenschaftliche Veröffentlichungen weisen aus, daß er ein Jahr später bereits in Rinteln lehrte und zwar zunächst als „Philosophiae Facultatis adiunctus“, also als Amtsgehilfe, Assistent, in der philosophischen Fakultät. Wiederum ein Jahr später, 1623, wurde ihm, dem 30-Jährigen, vom Grafen Jobst Hermann zu Holstein-Schaumburg – Fürst Ernst war 1622 gestorben – eine Professur übertragen, nachdem die Stelle eines Philosophen vakant geworden war.

 Wie sah der akademische Alltag des Philosophieprofessors Anton Peitmann aus? Von den vier Fakultäten in Rinteln hatte die philosophische eher propädeutischen Charakter. Ihre Aufgabe bestand vor allem darin, die Studenten für die drei „oberen“ Fakultäten Theologie, Jura und Medizin vorzubereiten. Auch waren die Professoren der philosophischen Fakultät für weitere verwandte Fächer zuständig; so hatte Anton Peitmann zweitweise auch einen Lehrauftrag für „Philosophia naturalis“, also für Physik. Zu Peitmanns Zeiten lehrten 3 – 5 Philosophen in Rinteln. Der Lehrbetrieb bestand aus öffentlichen und privaten Vorlesungen sowie aus Disputationen. Aus jener Periode sind keine Vorlesungsverzeichnisse erhalten, so können wir nur von Antons Veröffentlichungen auf die Inhalte seiner Lehrtätigkeit schließen.

 Aber es gibt wohl nichts Schlimmeres, als auf einem Familientag sich über Themen der Philosophie auszulassen. Deshalb nur dieser Hinweis. Der gräfliche Lehrauftrag von 1623 lautete: „Logicam Aristotelicam und Ramaeam den studiosis zu proponieren“, also den Studenten die Lehren vom alten Aristoteles und die damals moderne Methode des Franzosen Petrus Ramus zu vermitteln. Peitmann wurde ausdrücklich ermahnt, gegenüber beiden Systemen Toleranz zu üben.

 Erst recht sollt ihr mit den Titeln von Anton Peitmanns gedruckten Schriften, alle in lateinischer Sprache verfaßt, verschont werden. Wir haben bisher 9 ausfindig gemacht, aufbewahrt in der Landesbibliothek Hannover, in der Universitätsbibliothek Göttingen und im Heimatmuseum Rinteln.

 Uns soll heute weniger das wissenschaftliche Vermächtnis als viel mehr die Familie Anton Peitmanns beschäftigen. Vermutlich 1626, etwa drei Jahre nach seiner Ernennung zum Professor, heiratete der 33jährige seine Frau Margarethe Lubbersen aus Rinteln, die nicht einmal 20jährige Tochter des Rintelner Bürgers Daniel Lubbers. Sie gebar ihm von 1627 bis 1644 mindestens sieben Kinder, 5 Mädchen und 2 Jungen. In den Rintelner Kirchenbüchern setzen die Sterberegister erst 1650 ein, so daß wir nicht wissen, ob und welche Söhne und Töchter im Kindesalter starben. Taufpaten waren neben den Geschwistern der Eltern auch Professorenkollegen der Rintelner Universität, so der bekannte Jurist Pestel und der Theologe Gisenius, von dem wir noch hören werden. Zwei Töchter heirateten in Rinteln: Dorothea Elisabeth den auswärtigen Bürger Gerdt Willichs und Catarina den Rintelner Buchbinder Abraham Halbbrodt.

 Professur mit 30 Jahren, wissenschaftliche Veröffentlichungen im regelmäßigen Rhythmus, Heirat, Kindersegen – es scheint, als ob für Anton Peitmann der Aufbruch der Jugendzeit in seinem weiteren Leben anhielt. – Doch es kam ganz anders!

 Der 1618 ausgebrochene 30jährige Krieg erfaßte 1623 auch Rinteln, legte die Universität fast lahm und griff stark in das Leben Anton Peitmanns und seiner Familie ein. Schon 1 Jahr vorher, im Januar 1622 war Fürst Ernst, erst 52jährig, kinderlos gestorben; „das größte Unglück, das der jungen Universität zustoßen konnte“, wie es in einer Chronik heißt. Denn die Pläne zur weiteren Ausgestaltung seiner Lieblingsschöpfung hatte er nicht mehr verwirklichen können. Zudem war sein Nachfolger, Graf Jobst Hermann aus der westfälischen Linie Gehmen „ein grobschrötiger Landjunker ohne höhere Bildungs-interessen“. Eben war Fürst Ernst im März 1622 im Kuppelbau des Stadthäger Mausoleums beigesetzt, da stürmten die herumschweifenden Kriegsvölker Christians von Braunschweig bis an die Mauern Rintelns. Der „tolle Christian“ drang im Februar nächsten Jahres in die Stadt ein und „hauste hier wie der schlimmste Feind“: Auch das Universitätsgebäude wurde geplündert und arg verwüstet. Professoren und Studenten stoben vor den Horden auseinander. Kaum ein auswärtiger Student hielt es noch in der Universitätsstadt aus. Professoren brachten sich außerhalb in Sicherheit. Der damals noch ledige Anton Peitmann flüchtete sicher in das Haus seiner Eltern in Obernkirchen, die wohl noch beide lebten.

 Es fehlte nun nicht an Stimmen, die verödeten Hörsäle aufzugeben, ja die Universität ganz zu schließen. Doch Graf Jobst Hermann, die Fürstenwitwe Hedwig und die einflußreichsten Räte unterstützten den Kampf des Theologieprofessors und Rektors Johannes Gisenius um den Erhalt der Akademie. So erneuerte der Graf im Mai 1623 das Universitätsprivileg; und die Arbeit konnte nach der Herrschaft der Soldateska und trotz weiterer kriegerischer Unruhen wieder aufgenommen werden. Von den 10 Professoren kehrten 8 zurück, darunter auch Anton Peitmann.

 Es war vor allem die Fürstin Hedwig, Ernsts Witwe, die zusätzliche Hilfe leistete, so daß die äußeren Schäden, so gut es ging, behoben wurden. Man forderte die Professoren auf, in Rinteln zu bleiben und beruhigte sie wegen ihrer rückständigen Bezüge.

 Eine Anmerkung zur Fürstin Hedwig. Als sie gestorben war, zelebrierte der wiederholt erwähnte Oberprediger Ludolf Peithmann die große Trauerfeier. Seine Leichenpredigt auf die Fürstin liegt in Kopie in unserem Familienarchiv.

 Auch die erste überlieferte Gehaltsliste der Professoren datiert von Mai 1623. Wie bereits in der Ernennungsurkunde, ist für Anton Peitmann ein Betrag von 50 Talern jährlich angegeben. 1 Taler entsprach 36 Mariengroschen. Das Monatsgehalt betrug demnach 150 Mariengroschen. Vergegenwärtigen wir uns den heutigen Wert auf der Grundlage des Nahrungsmittels Brot. 1 Zweieinhalb-Pfund-Brot kostete damals 1 Mariengroschen. Heute muß man dafür im Schnitt 4,50 DM ansetzen. So wird man – bei allem Vorbehalt gegenüber dieser Vergleichsmethode – dem damaligen Gehalt einen heutigen Wert von etwa 720 DM beimessen müssen.

 Die Gehaltsübersicht für die Hochschullehrer weist aus, daß der junge Philosoph Peitmann mit 50 Talern an letzter Stelle stand. Ältere Kollegen und Professoren der höheren Fakultäten bekamen ein Mehrfaches, so der schon erwähnte Theologe Gisenius 500 Taler, also zehnmal so viel.

 Zudem konnten die Professoren der Theologie sowie die Juristen und Mediziner durch Nebeneinnahmen als Pfarrer, Rechtsanwälte und Ärzte die materielle Not erheblich lindern. Den Philosophen blieben solche Einkünfte in der Regel verschlossen. Anton Peitmann konnte mit seinen kläglichen Bezügen keine Familie unterhalten. Als nach seiner Eheschließung das erste Kind unterwegs war, mußte er Vorsorge treffen. Eine wirkliche Hilfe bestand darin, durch Landbestellung die Ernährung seiner Familie zu sichern. Und so richtete er im September 1627, also drei Monate vor der Geburt seiner Tochter Dorothea Elisabeth, einen Bittbrief an den Landesherrn Graf Jobst Hermann. Da der Text ganz überwiegend aus heute nicht mehr oder kaum noch verständlichen Redewendungen und vielen nicht mehr gebräuchlichen Fremdwörtern besteht, sei er hier in ziemlich freier Übersetzung vorgetragen:

 „Euer Gnaden teile ich untertänig mit, daß meine Voreltern – sicher in ihrer Eigenschaft als gräfliche Beamte – mit etlichen Ländereien versehen worden sind. Nun mache ich mir als treuer Diener die Hoffnung, durch Eure gnädige Genehmigung ebenfalls mit Ländereien in Gnaden versehen zu werden. Vor allem deshalb, weil ich für meine berufliche Tätigkeit nur ein geringes Gehalt bekomme und ich durch die großen Kriegsbeschwerungen in nicht geringe Schuld geraten bin. Ich hatte bei Eurer Abwesenheit schon mehrmals bei Euren Räten flehentlich darum gebeten, doch die haben mich auf Euer Gnaden glückliche Heimkunft vertröstet. Als ich nun mit Freuden hörte, daß, wofür Gott gelobt sei, Euer Gnaden bei Hofe zu deren Land und Leuten gesund wieder angelanget, so richte ich an dero selben meine untertänige Bitte, Euer Gnaden mögen sich von den Herren Räten hierüber berichten lassen und mich daraufhin mit der angedeuteten Länderei in Gnaden versehen, damit ich den von Euer Gnaden gnädig anbefohlenen Auftrag in dero Universität um so besser erfüllen kann, und ich das habe, was ich zu meinem Lebensunterhalt gebrauche. Es ist meine Absicht, sie mir mit menschlichem Fleiß in aller Untertänigkeit zu verdienen. Bitte auch den lieben Gott, Euer Gnaden zu dero Land und Leuten Prosperität und Gedeihlichkeit, bei guter Gesundheit, Friede und langem Leben zu erhalten, sie göttlichem Schutz untertänig empfehlend.“ – Ob Anton mit dieser Bitte Erfolg hatte, ist aus den Archivakten nicht ersichtlich.

 Nachdem der ältere Philosophie-Professor Werner 1634 gestorben war, der 200 Taler bekommen hatte, beantragte Anton Peitmann die Übertragung dieses Gehaltes und bat „wegen vielerlei bei diesen Zeiten ausgestandenem Schaden und habenden geringen Unterhalt“ die Erhöhung seiner Jahresbezüge auf 200 Taler. Doch das Ansuchen scheint vergeblich gewesen zu sein, denn im November 1635 betrug sein Einkommen nur 72 und 30 Taler.

 

Kriegsereignisse störten auch weiterhin den akademischen Lehrbetrieb. Erneut zogen kaiserliche Truppen, auch Tilly mit seiner ganzen Armee, durch das Land. Dazu wütete 1626 die Pest. Und doch: Peitmann muß seine wissenschaftliche Tätigkeit kaum unterbrochen haben, denn von 1623 bis 1627 brachte er jedes Jahr eine umfangreiche philosophische Veröffentlichung heraus, alle gedruckt und gebunden beim Rintelner Universitätsdrucker Petrus Lucius.

 Neben Johannes Gisenius war u. a. Josua Stegmann Professor für Theologie in Rinteln, der bis in die Gegenwart als Dichter von Kirchenliedern bekannt ist. In den trübseligen Zeiten von Krieg und Pest, im Jahr nach dem Tode seiner Frau und Mutter seiner Kinder, die auch der Pest erlegen war, erschien 1627 unter dem Titel „Herzens-Seufzer“ seine Gebet- und Liedersammlung, die viele Auflagen erlebte. Sein bekanntestes Kirchenlied, ja, auch heute noch eines der meistgesungenen überhaupt, ist „Ach bleib mit deiner Gnade bei mir Herr Jesu Christ“. Trotz bitterster Not und größtem Leid – ein Lied ohne Klage, nicht einmal versehen mit der Bitte um Linderung oder Abwehr der äußeren Bedrängnisse, vielmehr ein gesungenes Gebet um den Beistand Gottes in ganzer Breite, wenn es zu Beginn der einzelnen Verse heißt: „Ach bleib mit deiner Gnade, mit deinem Worte, mit deinem Glanze, mit deinem Segen, mit deinem Schutze und mit deiner Treue.“

 Dieser Josua Stegmann war für Anton Peitmann Seelsorger und Freund zugleich. Es ist zu vermuten, daß sich beide schon in Stadthagen kennengelernt hatten. Denn als Stegmann 29jährig 1617 als junger Theologieprofessor nach Stadthagen kam, mag Anton noch kurze Zeit als Student dort gewesen sein, bevor er im November in Helmstedt ein herzogliches Stipendium erhielt.

 Beide Kollegen und Freunde, Gisenius und Stegmann, würdigten den Ordinarius Anton Peitmann in seiner ersten, 1625 herausgegebenen Sammlung von 12 gedruckten Diskursen in lateinischer Sprache des Rintelner Instituts für Logik.

Hier die Übersetzung der vorangestellten Widmung:

„Einem Manne, einem hochberühmten und ganz hervorragenden Doktor Magister Antonius Peitmann, dem Professor der Logik der Rintelner Akademie, gratuliert Johannes Giessenius, Doktor, öffentlicher Professor, Prorektor der Akademie. – Die Kunst der Dialektik trennt alles Wahre vom Falschen, reißt ein, baut auf, teilt, eint und zeigt das wahre Maß aus der Wahrheit abzuleiten. Die Vernunft anerkennt nur das, was sie durch die Praxis bestätigt. Diese Kunst mit dem Eifer überliefernd, hochberühmter Peitmann, erlangst du Lob und hilfst der wißbegierigen Jugend“.

 Josua Stegmann fügt in Versen hinzu:

„Dem Merkur des Lebens, die Vernunft, verherrlichen die Gelehrten mit feierlicher Stimme auf kluge Weise: Dieser ist der Bote der Götter, der Begleiter auf der Reise, der Schiedsrichter des Hofes, so kennzeichnet er den Weg zu allem Wissenden auf logische Weise. Einen solchen Merkur möchte ich mit wahrhaftem Namen Peitmann nennen. Wen er als Anführer zu erkennen gibt, diesem folge als Begleiter auf geradem Wege, der du das Wahre im Verborgenen suchst und finden wirst. …“

– Damalige Schriftsprache unter nahestehenden Gelehrten im Umgang miteinander – dazu auf Lateinisch.

 Noch bevor sich die Universität Rinteln von den bisherigen Verwüstungen des Krieges erholt hatte, wurde sie vor eine noch härtere Belastungsprobe gestellt: das sogenannte Restitutionsedikt des Kaisers, d. h. die Verordnung zur Rückgabe allen klösterlichen Eigentums an die Katholiken. Auch die schaumburgischen Stifte und Klöster, und damit das als Universität dienende Rintelner Benediktiner-Kloster, fielen unter die Bestimmung der Restitution. Und so mußte 1630 das frühere Nonnenkloster Rinteln an den Benediktinerorden rückübertragen werden. Da das Kloster mit geistlichem Gut ausgestattet war, ging es keineswegs nur um die Universitätsräume, sondern auch um alle anderen Gebäude und vor allem um die Ländereien.

 Damit war der Nerv der Universität getroffen, denn alle Ausgaben, auch die Gehälter der Professoren, wurden durch Einkünfte aus dem Gut des säkularisierten Klosters bestritten.

 Im März 1630 drangen Benediktiner aus Corvey in die Universitäts-gebäude ein, beschlagnahmten sie und schikanierten die Professoren; vor allem die Theologen waren „ärgsten Quälereien“ ausgesetzt, wie es in einem Bericht heißt. Die Mönche ließen es nicht mit einer katholischen Besetzung bewenden, sondern sie wandelten die Hochschule in eine jesuitische Akademie um und nannten sich nun selber „Ordinierte Benediktiner-Professoren der Universität Rinteln“.

 Ein schwerer Schlag für die junge protestantische Universität! Da muß man den Mut und das Durchhaltevermögen der auf die Straße gesetzten evangelischen Professoren bewundern. Nur einer verließ Rinteln; alle anderen harrten nicht nur aus, sondern setzten Forschung und Lehre ohne Unterbrechung fort. Auch Anton Peitmann ließ seine Studenten einfach zu sich nach Hause kommen und hielt seine Vorlesungen in der Wohnstube. Die Prüfungen und Disputationen fanden in der Stadtkirche St. Nikolai statt. Man kann sich gut vorstellen, daß die in die Privathäuser verlegten Lehrveranstaltungen, studentischen Treffen und Konferenzen der Professoren die protestantischen Universitätsangehörigen erst recht zusammenschweißte; hier bestärkten sie sich gegenseitig in ihrem Widerstand.

 Dennoch: Vor allem die Theologen begaben sich mit ihrer Standfestigkeit in Lebensgefahr. 1632 kam es zum Höhepunkt: Die Katholiken ergriffen den führenden Rintelner Theologen, den väterlichen Peitmann-Freund Johannes Gisenius, der sich besonders für die protestantische Hochschule eingesetzt hatte; sie schleppten ihn von Rinteln fort und sperrten ihn in Minden ein. Erst nach Monaten der Gefangenschaft konnte ihn Graf Jobst Hermann über eine Vermittlung durch katholische Generäle wieder frei bekommen.

 Noch schwerer erging es im selben Jahr dem anderen Peithmann-Freund unter den Theologen. Der stillere Josua Stegmann, ebenfalls Verfechter des „reinen Luthertums“, nicht nur Professor und Liederdichter, auch Verfasser von Streitschriften, war ebenso ein Ziel gegnerischer Angriffe. Die Benediktiner veranstalteten ein angebliches Streitgespräch; als Vertreter der Protestanten luden sie Josua Stegmann ein. Dieser sagte zu, mit der aufrichtigen Absicht, in dieser wirren Zeit einen Schritt für Verständigung und Frieden zu tun. Doch er lieferte sich nur einer Scheindisputation aus, in der er böswilligen persönlichen Verunglimpfungen ausgesetzt wurde. Die erlittenen Demütigungen und Enttäuschungen nahmen ihn so mit, daß er wenige Wochen später, erst 44jährig, verstarb.

 1633 änderte sich die politische Lage plötzlich durch den Sieg der protestantischen Partei gegen die kaiserliche Streitmacht in der Schlacht bei Hessisch Oldendorf. Fluchtartig verließen die Ordensleute die Klöster in der Wesergegend. Somit endete auch die dreijährige katholische Besetzung der Universität Rinteln.

 Doch der Verfall der Hochschule wurde damit vorerst nicht gestoppt. Die Ausgaben zur Unterhaltung der Universität, auch für die Gehälter der Bediensteten, hingen ab von der fristgerechten Anlieferung der Gelder und Naturalien aus dem klösterlichen Besitz – und die haperte aufgrund von Verwüstung, Mißwachs und säumiger Zahlung. So schmolz 1635 der Barertrag für die Gehälter auf ein Drittel zusammen. Peitmann bekam nur 50 bzw. 75 Taler.

 In diesem Zustand hielten es 1636 nur noch vier Professoren in Rinteln aus, darunter Anton Peitmann. Die juristische und die medizinische Fakultät verwaisten. Zudem starb 1635 Graf Jobst Hermann, dem der erst 15jährige Graf Otto V., der letzte seines Geschlechts, folgte.

 Auch der Friede war noch in weiter Ferne. In diesen Jahren wollten in Rinteln Durchmärsche von Truppen aller kriegerischen Parteien mit leidigen Einquartierungen und mancherlei Gewalttaten kein Ende nehmen.

 Verfall von Zucht und Sitte machten sich auch unter den Studenten immer mehr breit. Die jungen Füchse waren den Quälereien durch die älteren Semester ausgeliefert, ja es kam zu einer regelrechten Ausbeutung und Versklavung. Im Jahre 1639, als Anton Vizerektor der Universität war, erreichten die Ausschreitungen einen Höhepunkt, zumal sich die Angriffe nun auch gegen die Professoren und speziell gegen Peitmann richteten. Lesen wir, was Anton im Oktober 1639 an Graf Otto schrieb. Hier der vollständige Wortlaut:

 „Dem hochgeborenen Grafen und Herrn, Herrn Otto Grafen zu Holstein, Schaumburg und Sternberg, Herrn zu Gehmen und Bergen. Meinen gnädigen Grafen.

Hochgeborener Graf!

Gnädiger Herr, Euer Gnaden werden von deren Herrn Kanzler und Räten mit mehren in Gnaden vernommen haben, was ich zu mehrmalen wegen Ablegung des Vizerektorats der Universität Rinteln untertänig gesucht und gebeten, was ich nun bis auf die heutige Stunde mit keinem nachrichtigen Bescheide versehen worden und unterdessen mir allerhand Widerwärtigkeit von den Studiosis und sonsten angefügt worden, welches länger zu gedulden mir sehr beschwerlich. So gelangt hiermit an Euer Gnaden meine untertänige, hochfleißige Bitte, Euer Gnaden mich entweder von solchem beschwerlichem Amt in Gnaden entheben und dasselbe einem anderen auftragen, oder, da Euer Gnaden gnädig belieben, nach ich mit all solcher Verwaltung über Zuversicht ferner belegt bleiben sollte, unter deren Hand mich dazu bevollmächtigen, dabei auch Kraft habenden oberlichen Gewalts gnädig handhaben und gegen alle übertriebenen Mutwillen schützen und oberlich vertreten.

Solcher und mehrer Gnaden tue zu Euer Gnaden ich mich untertänig getrösten und neben getreuer Empfehlung Gottes gnädiger gewiriger Resolution antworten.

Datum Rinteln, den 9ten August 1639.

Euer Gnaden untertäniger Magister Antonius Peitmann

 Eine grundsätzliche Besserung war auch mit landesherrlicher Hilfe nicht sofort zu erwarten. Tatsächlich dauerte das Studenten-Unwesen in Rinteln zwei Jahrzehnte lang, auch über das Wirken unseres Anton Peitmann hinaus.

 Nach dem frühen Tode Graf Ottos im Jahre 1640 erlosch das Haus Schaumburg im Mannesstamme. In den Auseinandersetzungen zwischen den Erbberechtigten hatte sich zunächst die Gräfinmutter Elisabeth aus dem Hause Lippe behauptet. Sie und die Fürstenwitwe Hedwig nahmen sich mit Erfolg der Universität an, eröffneten sie 1642 wieder und erfüllten sie mit Leben. Als die Einkünfte im früheren Umfang zu fließen begannen, erhöhte sich die Anzahl der Professoren auf 11. Anton Peitmann bekam wieder sein altes Jahresgehalt von 150 Talern.

 Nur sieben Jahre konnte sich unser Vorfahre und Verwandter dann noch eines halbwegs normalen Lebens erfreuen, soweit man für die letzten Kriegsjahre und die ersten Nachkriegsjahre davon überhaupt sprechen kann. Anton Peitmann starb im Alter von 56 Jahren im April 1649 auf einer Reise nach Lemgo. Er wurde hier in Rinteln begraben.

 In einer Chronik lesen wir:

 „Daß die Universität Rinteln überlebte, ist das Verdienst vor allem von drei Männern, die als einzige Professoren seit der Eröffnungszeit bis auf kleine Unterbrechungen auch in den schlimmsten Wochen in Rinteln ausgehalten haben. Nur weil sie ihrer Hochschule die Treue gehalten haben, ging das Erbe des Fürsten Ernst, dem sich alle tief verpflichtet fühlten, nicht in den Wirren des 30jährigen Krieges unter. Es waren Gisenius, König und Peitmann“.

* * * * *

 Neben Anton als Professor werden nur noch zwei Namensträger Peit(h)mann als Studenten in Rinteln genannt:

L u d o l f , der uns bereits bekannte Sohn Dietrich Peithmanns aus Stadthagen, gleich im ersten Jahr 1621, nachdem er zuvor in Gießen zum Magister der Philosophie promoviert worden war, und im Jahre 1672 ein A n d r e a s Peithmann aus Hessisch Oldendorf, vermutlich ein in den lückenhaften Kirchenbüchern Oldendorfs nicht aufgeführter Sohn des gleichnamigen Oldendorfer Kämmerers Andreas Peithmann, Sohn des Stadthäger Senators und Bürgers Thomas Peithmann und Dietrichs Enkelsohn.

 Die Angehörigen unserer Familien studierten also ganz überwiegend an anderen Orten: Von den für die deutschsprachigen Universitäten früherer Jahrhunderte – von 1578 bis 1900 – verzeichneten 45 Immatrikulationen betreffen also nur 2 die schaumburg-lippische Landesuniversität. An der Spitze stehen übrigens Helmstedt mit 14 und Jena mit 9. Die Erklärung scheint plausibel: Die Theologen unter den Peithmann-Angehörigen waren ja überwiegend außerhalb des Landes tätig und ansässig, vor allem im Fürstenbistum Osnabrück. Sie wählten eine Hochschule offenbar nach der theologischen Ausrichtung der Fakultät bzw. nach den dort lehrenden Professoren. Oft zog dann – auch aus Kostengründen – ein älterer Bruder alle jüngeren nach, wie z. B. bei den Söhnen des Bad Essener Konsistorialrates Ludwig Peithmann nach Jena.

 So wird das Thema „Peitmann und die alte Universität Rinteln“ fast ganz mit der Person des Professors Anton ausgefüllt. Über ihn haben uns die archivalischen Quellen reiche Auskunft gegeben – sowohl die Kirchenbücher Rintelns als auch viele Akten im Niedersächsischen Staatsarchiv Bückeburg und ebenso die Literatur über die Universität und die Zeit des 30jährigen Krieges in Rinteln.

 Doch im Stadtbild Rintelns suchen wir den Schriftzug seines Namens vergeblich. Wer aber, wie wir auf dem Familientag, sich vertraut gemacht hat mit dem Leben Anton Peitmanns, wer seine Mitstreiter kennenlernte, wer von den Orten und Gebäuden seines Wirkens weiß, der kann sich auch heute noch in der Innenstadt die Welt unseres Vorfahren erschließen.

Wer von uns erkennt nun nicht in der Fürst-Ernst-Straße und Graf-Otto-Straße, in der früheren Kloster- und Universitätskirche St. Jakobi und der Stadtkirche St. Nikolai, in der Klosterstraße am Gebäude der ehemaligen Universität und vor allem im Josua-Stegmann-Wall Spuren Anton Peitmanns?

Wilhelm Meier-Peithmann