Heinrich Peithmann (1903-1973)
Text eines Vortrags von Wilhelm Meier-Peithmann
anlässlich des Peit(h)mann-Familientags in Mennighüffen
Heinrich Peithmann 1903-1973 – ein Pastor der Bekennenden Kirche
Dem Chronisten sei erlaubt, Pastor Heinrich Peithmann eingangs mit einer Schilderung eigener persönlicher Begegnungen vorzustellen. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf diesen Menschen und Seelsorger.
Ein Herbstnachmittag Anfang der 1950er Jahre auf dem elterlichen Hof Meier-Horst im nördlich von Bünde gelegenen Dorf Dünne. Während „die Männer“ die Felder bestellten, ruhte meine Mutter ein Stündchen von der anstrengenden Arbeit als Bäuerin. Ich, der zwölfjährige Schüler, erledigte am Wohnzimmerschreibtisch die Schulaufgaben. Da schlug draußen der Hofhund an. Als ich die Dielentür öffnete, stand vor mir ein etwa 50 Jahre alter, mir unbekannter Herr im dunklen Anzug und mit einer Aktentasche unter dem Arm. „Ein typischer Vertreter einer Versicherung oder einer Futtermittelfirma!“, war meine spontane Einschätzung. Seine gezielte Frage „Kann ich mal deine Mutter sprechen?“ verwunderte mich, da in betrieblichen Angelegenheiten gewöhnlich mein Vater die Ansprechperson war. So stutzte ich einen Augenblick, um eine passende Antwort zu finden. Wer auch immer der da vor mir sein mochte, auf keinen Fall sollte durch ihn der Mittagsschlaf meiner Mutter gestört werden. Weil die Begründung dafür eine fremde Person nichts anging, sagte ich wohl ein wenig unsicher: „Nein, sie ist nicht da!“
Mein Gegenüber muss mich durchschaut, meine zwiespältigen Gedanken nachvollzogen und meine Befindlichkeit gespürt haben. Er sah mich verständnisvoll an, überlegte und meinte liebevoll: „Na ja, dann vielleicht ein andermal!“ So hatte er alles vermieden, die Ruhezeit meiner Mutter zu unterbrechen. Ja, aus diesem Grunde ließ er nicht einmal Grüße ausrichten. Er wusste, sein Name hätte mich bewogen, ihn ins Haus zu führen. Es war Pastor Heinrich Peithmann, ein Vetter meiner Mutter.
Pastor Peithmann war kurz zuvor von seiner ersten Pfarrstelle Essen-Steele einem Ruf in die Kirchengemeinde Mennighüffen im Kreis Herford gefolgt. Eine Pfarrkonferenz in Bünde bot ihm nun Gelegenheit, nach seinem langjährigen Dienst im Rheinland die Cousine im nahen Dünne wiederzusehen.
„Es war mir ein Vergnügen mitzuerleben, wie sehr dein Sohn sich um dein Wohl bemühte, dafür sogar eine Notlüge in Kauf nahm, die allerdings ziemlich unecht über seine Lippen kam“, meinte Heinrich Peithmann später zu meiner Mutter.
Ein weiterer Besuch Heinrich Peithmanns ist mir deshalb in lebhafter Erinnerung, weil er noch Jahrzehnte in mir nachwirkte. Etwa anderthalb Jahre vor meinem Abitur sprachen wir über Studium und Beruf. Bei der Verabschiedung klopfte er mir dann mit den Worten auf die Schulter: „Wilhelm, du musst Pastor werden!“ Dieser Rat gründete sich nicht nur auf die Jahrhunderte alte Theologentradition in unseren Familien, der er sich verpflichtet fühlte, sondern entsprang auch seinem missionarischen Auftrag, Menschen für die Verkündigung des Evangeliums zu gewinnen. Auch wenn damals meine berufliche Entscheidung für die Schulbiologie schon längst gefallen war, so habe ich dennoch seine Worte niemals vergessen und bin seiner Empfehlung wenigstens ein Stück weit gefolgt. Während meines gesamten Studiums habe ich stets auch Lehrveranstaltungen im Fach Theologie belegt. Dabei fügte es sich, dass einer meiner Professoren Helmuth Kittel (1902-1984) war, ein Verwandter von Gerhard Kittel (1888-1948), einer der Professoren von Heinrich Peithmann. So habe ich neben meinem Rektorat vier Jahrzehnte auch evangelische Religion unterrichten können und versehe seit meiner Pensionierung – sicher im Sinne Heinrich Peithmanns – Dienst als Prädikant, also Prediger mit „eigenverantwortlicher Kanzelverkündigung“, in der Hannoverschen Landeskirche.
Mehr als 35 Jahre übte Pastor Heinrich Peithmann sein Amt in den Kirchengemeinden Essen-Steele und Mennighüffen aus. In seine Dienstzeit fielen auch die zwölf Jahre des Dritten Reiches mit dem ihn besonders prägenden Kampf der Bekennenden Kirche gegen die Verfälschung des Evangeliums durch die „Deutschen Christen“. Hatte es schon von je her in seinem christlich-konservativen Elternhaus keinen Platz für nationalsozialistisches Gedankengut gegeben, so war sein Vater gleich 1933 mit der Machtübernahme Hitlers als Bürgermeister in Südhemmern abgesetzt worden.
Heinrich Peithmann kam 1903 als ältester von zwei Söhnen des Bauern Heinrich Peithmann und seiner Frau Luise geborene Röthemeyer in Südhemmern, heute Ortsteil der Gemeinde Hille im Kreise Minden, zur Welt. Unabhängig davon, dass im damaligen Amt Hartum auf den Höfen das Jüngstenerbrecht üblich war, hatten die Eltern für ihn eine akademische Laufbahn vorgesehen. Auch schon in der Generation vorher ließ sich die Familie von der Weitsicht leiten, trotz der schweren finanziellen Bürde den ältesten Sohn studieren zu lassen.
Am Humanistischen Gymnasium in Minden legte Heinrich 1923 die Reifeprüfung ab. Der Berufswunsch Pastor war ihm ein Stück weit mit in die Wiege gelegt worden. So war sein aus Unterlübbe stammender Großvater Ernst Ludwig Andreas Peithmann durch den Pastor Prieß aus Bergkirchen, einem Freund des damaligen Mennighüffer Seelsorgers und führenden Vertreter des Minden-Ravensberger Pietismus, Theodor Schmalenbach, zum Glauben gekommen. Auch sein Onkel, der spätere Professor Dr. Christian Peithmann, hatte Theologie studiert, sich dann aber gnostischen Glaubensrichtungen zugewandt.
Später erzählte Heinrich Peithmann oft in der Familie, dass ihm sein Konfirmator, der Hiller Pfarrer Hermann Schmidt, als Konfirmationsspruch einen Vers aus dem Matthäus-Evangelium gegeben hat: „Einer ist euer Meister, Christus“ (Mt 23, 8b). Das habe er als selbstbewusster, erfolgreicher Schüler zunächst mit Unbehagen aufgenommen. Erst nach längerem inneren Ringen habe er Christus als seinen Meister angenommen. Seine Angehörigen gehen davon aus, dass sein späterer Widerstand gegen den Anspruch der Nationalsozialisten, Herren und Meister auch der Kirche und des Glaubens zu sein, in dieser frühen Glaubensentscheidung seine Wurzeln hat.
Da Heinrich in der wirtschaftlichen Notzeit mit Arbeitslosigkeit und Inflation nach dem Ersten Weltkrieg nicht sogleich ein Studium aufnehmen konnte, arbeitete er von April 1923 bis Oktober 1924 zunächst als „Steuersupernumerar“ am Mindener Finanzamt. Die hier erworbenen Kenntnisse konnte er später gut in den kirchlichen Dienst einbringen.
Heinrich studierte in Münster 1924/25, Tübingen 1925-1927 und wieder in Münster 1927-1928 Theologie. Berühmte Professoren zählten zu seinen Lehrern, darunter der Dogmatiker Karl Barth (1886-1968), „der bedeutendste und einflussreichste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts, der Begründer der Dialektischen Theologie und der Überwinder des liberalen Protestantismus“, der Systematiker Karl Heim (1874-1958), Autor des wegweisenden sechsbändigen religionsphilosophischen Werkes „Der evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart. Grundzüge einer christlichen Lebensanschauung“ sowie die Neutestamentler Otto Schmitz (*1883) und Gerhard Kittel (1888-1948).
Der junge Theologiestudent Heinrich Peithmann aus gläubigem Elternhaus hat den Reformierten Karl Barth als großen Theologen und akademischen Lehrer geschätzt, dessen Forschung und Lehre auf diesen Satz hinaus lief: „Das letzte Wort, das ich als Theologe und als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie „Gnade“, sondern ist der Name Jesus Christus; er ist Gnade, und er ist das Letzte jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie.“ Doch wenn er von seiner theologischen Prägung sprach, nannte er zuerst immer den Lutheraner Karl Heim. Entsprechend hat er seine Haltung zu Staat und Politik wohl eher von der lutherischen „Zwei-Reiche-Lehre“ abgeleitet. Die sieht den Staat als von Gott eingesetzt zur Einhaltung der Ordnung in der „Welt“ und verlangt vom Christen Respekt und Gehorsam gegenüber der „Obrigkeit.“ Nur da, wo der Staat oder die in ihm Verantwortlichen die ihm gesetzten Grenzen überschreitet und sich Übergriffe auf das, was zum „Reich Gottes“ gehört, erlaubt, ist Widerstand geboten.
So hat unter den Hochschullehrern vor allem Karl Heim auch Heinrich Peithmanns ablehnende Haltung zum heraufziehenden Nationalsozialismus beeinflusst. Dieser setzte sich dann in der 1933 erschienenen Schrift „Deutsche Staatsreligion oder Evangelische Volkskirche“ klar von den „Deutschen Christen“ im Dritten Reich ab. Schmitz wurde gleich 1934 von den Nazis als Theologieprofessor entlassen. Barth galt als Mittelpunkt des evangelischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und als Vater der Bekennenden Kirche.
Ostern 1929 hatte Heinrich Peithmann vor dem Konsistorium in Münster das erste Examen bestanden, dem sich ein halbjähriges Vikariat bei Pastor Steinwald in Ibbenbüren anschloss. Während seines Studiums in Münster war er im Hause des Generalsuperintendenten Wilhelm Zoellner untergebracht, der ihn förderte und ihn an das Domkandidatenstift in Berlin vermittelte, einem Predigerseminar der damaligen altpreußischen Union. Nach dortigem einjährigen Aufenthalt und einer weiteren halbjährigen Vorbereitungszeit folgte Ostern 1931 wieder in Münster das zweite Examen.
Seinen seelsorgerlichen Dienst begann Heinrich Peithmann im Mai 1931 als Hilfsprediger unter dem Superintendenten Niederstein in Bochum-Altenbochum, wo der „Synodalvikar“ im Juni 1931 ordiniert wurde. Ein Jahr später wählte ihn die damals noch zu Westfalen gehörige Kirchengemeinde Königssteele ganz in der Nachbarschaft der rheinischen Großstadt Essen zu ihrem Pastor. Kurz bevor er hier den Dienst aufnahm, vermählte er sich am 1. Juli 1932 mit Friedrike von Behren aus seinem Heimatort Südhemmern. Sie hatte sich durch eine von Generalsuperintendent Zoellner in Münster vermittelte Ausbildung auf ihre künftige Stellung als Pfarrfrau vorbereiten können.
Das Datum 1. Juli ist für die Peithmann-Familie in Südhemmern ein traditioneller Hochzeitstag. Seit der Vermählung von Ernst-Ludwig Andreas, dem ersten Peithmann auf dem Hof Nr. 21, mit Wilhelmine Regine Rieher im Jahre 1864 wurden jeweils an diesem Tag bisher 7 Ehen geschlossen, darunter 2 Doppelhochzeiten gefeiert.
Ein Dreivierteljahr, nachdem Heinrich Peithmann Gemeindepastor geworden war, ergriffen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Sogleich suchte der Staat seinen Totalitätsanspruch auch auf Inhalte und Strukturen der Kirche auszudehnen. Er weitete seine direkte Einflussnahme in Stufen immer mehr aus.
Zunächst unterstützte das NS-Regime in den für Juni 1933 aufgezwungenen Kirchenwahlen einseitig die sogenannten „Deutschen Christen“, eine seit 1932 bestehende, dem Führerprinzip folgende, rassistische Strömung, die den Protestantismus an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte. Das Ziel war, mit einer gewonnenen Mehrheit die Landeskirchen gleichzuschalten.
Dann setzte die NS-Regierung von1935-1937 sogenannte Kirchenausschüsse ein mit der Maßgabe, die nun faktisch gespaltene evangelische Kirche wirksam zu kontrollieren.
Als dritte Stufe in der NS-Kirchenpolitik folgte ab 1937 eine sich immer weiter verschärfende direkte Unterdrückung insbesondere von Geistlichen – vom Ausbildungsverbot und von Gehaltskontrollen bis Einberufungen zum Wehrdienst, Publikationsverbot und Verhaftungen.
Im Mai 1934 gründeten evangelische Christen die Oppositionsbewegung „Bekennende Kirche“, die sich einer Gleichschaltung von Kirche und Nationalsozialismus widersetzte. Mit der sogenannten „Barmer Theologischen Erklärung“ von Mai 1934, an deren Formulierung Karl Barth wesentlich beteiligt war, wurden nationalsozialistische Ideologien und alle staatlichen Totalitätsansprüche aus der kirchlichen Lehre verbannt. Sie „stellte Jesus Christus als einzigen Glaubensgrund der Kirche gegen fremde Kriterien und Instanzen.“ In der Bekenntnissynode von Dahlem im Oktober 1934 verweigerte die Bekennende Kirche jede Zusammenarbeit mit staatlichen Kontrollgremien. Heinrich Peithmann hat die Barmer Erklärung vollinhaltlich mit getragen. Eine politische Theologie jedoch, wie sich sich z. B. mit dem Namen Martin Niemöller verbindet, hat er zur Zeit des Kirchenkampfes und auch später konsequent abgelehnt.
Heinrich Peithmanns Entscheidung für die Bekennende Kirche ist sicherlich zu guten Teilen auf die direkte Konfrontation mit Nationalsozialisten und den von ihnen geförderten „Deutschen Christen“ in Steele und den Nachbargemeinden zurückzuführen. Für Pastor Peithmann gab es keinen Zweifel: Wo ein „Führer“ den Gruß „Heil Hitler“ einführt, da ist der Christ aufgefordert, sich zu dem Bibelwort zu bekennen „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden“ (Apostelgesichte 4,12 in der Übersetzung Martin Luthers).
Im Presbyterium der Kirchengemeinde Königssteele gab es harte Auseinandersetzungen zwischen den „Deutschen Christen“ und Anhängern der Bekennenden Kirche. Es gelang, den Einfluss der „Deutschen Christen“ zurückzudrängen, so dass sie schließlich das Presbyterium verließen.
Wie hat Heinrich Peithmann das Hereinbrechen des Nationalsozialismus mit zunehmender Unterdrückung der Kirche als Gemeindepastor erlebt und wie hat er darauf reagiert? Antworten auf diese Fragen gibt sein späterer Nachfolger im Pfarramt, Rainer Winnacker, in dem Beitrag „Erinnerung an Heinrich Peithmann“, veröffentlicht im Gemeindebrief der Ev.-luth. Kirchengemeinde Königssteele für November 1999 bis Februar 2000 aus Anlass der 50-jährigen Wiederkehr seiner Verabschiedung:
„Eine so glaubensstarke und charakterfeste Persönlichkeit wie Heinrich Peithmann konnte und wollte sich mit dem Nationalsozialismus nicht arrangieren. Zwar war ihm dessen Politik als durchaus national geprägten Menschen zunächst gar nicht so schlecht vorgekommen, zumal er damit auch die Hoffnung auf Ordnung in den Wirren der Weimarer Republik verbunden hatte. Außerdem waren viele der nationalsozialistisch organisierten „Deutschen Christen“ in Steele, anders als deren Leitung in Berlin, keineswegs antichristlich und judenfeindlich eingestellt.
Doch schon bald durchschaute Heinrich Peithmann Terror und Unmenschlichkeit des Naziregimes. Und theologisch war für ihn der messianische Anspruch des Führers und seiner Partei nicht vereinbar mit der Glaubensüberzeugung, dass es nur einen Herrn und Heiland gibt und außer ihm kein Heil. So schloß er sich der Bekennenden Kirche an, ein nicht ungefährlicher Schritt. Zum Beispiel war die Bekanntgabe von Kollekten für die Bekennende Kirche im Gottesdienst verboten, und Heinrich Peithmann wurde zwei Tage eingesperrt, als er sich darüber hinwegsetzte. Zudem waren die sogenannten grünen Blätter, über die die Bekennende Kirche ihre Informationen verteilte, Anlaß für mehrere Hausdurchsuchungen. Überall gab es Spitzel der Gestapo, gerade auch im Gottesdienst, und das Telefon wurde abgehört.
Heinrich Peithmann ließ sich aber nicht einschüchtern und nahm kein Blatt vor den Mund. Dafür war er von der Sache des Evangeliums viel zu überzeugt. Nicht, daß er über so etwas wie einen ungebrochenen Mut verfügt hätte, er hat die Angst gut gekannt und mußte sich seinen Mut immer wieder im Glauben stärken lassen. So bot er den Gestapospitzeln im Gottesdienst einmal von der Kanzel herab an, sie könnten sich das Mitschreiben seiner Predigten sparen und direkt ein Exemplar von ihm bekommen.
Es war für Heinrich Peithmann von großer Bedeutung, daß seine Frau den Druck, die Anfeindungen und zuletzt die Ängste, die all das auslöste, mitgetragen hat, zumal er ansonsten eben überhaupt kein draufgängerisch veranlagter Mensch war. Außerdem galt es für die Eltern, möglichst viel von den – inzwischen geborenen – Kindern (Marie Luise 1933, Erika 1935 und Eberhard 1936) fern zu halten, um sie zu schützen und gleichzeitig zu verhindern, daß sie unbedarft etwas über die Äußerungen oder Ansichten ihrer Eltern in der Öffentlichkeit verbreiteten. Dennoch spitzte sich die Lage mehr und mehr zu. Am Ende entging Heinrich Peithmann der drohenden Verhaftung nur durch die Einberufung zum Soldat.“
Heinrich Peithmann war nach dem Musterungsbescheid als nicht oder nur bedingt kriegsverwendungsfähig eingestuft worden. 1942 – er war bereits 39 Jahre alt – wurde er bei einer neuen Untersuchung überraschend für kriegsverwendungsfähig erklärt, eingezogen und nach einer Ausbildung in Köln in den Kaukasus an die Front versetzt. Dort erkrankte er schwer an der Ruhr und wurde wieder in die Heimat geflogen, bevor sich der Kessel der russischen Armee um seine Stellung schloss. Am Kriegsende gelang es ihm, zu Fuß nach Steele zurückzukehren.
Erst nach seiner Rückkehr erfuhr er, dass ein Chefarzt, angesehenes Mitglied der NSDAP, mit dem er zu tun hatte, sich erfolgreich dafür verwandt hatte, dass er an die Front geschickt wurde, anstatt ins Konzentrationslager eingeliefert zu werden.
In seiner Würdigung stellt Pastor Winnacker dann auch besonders „sein offenes Auftreten gegen den Nationalsozialismus und die damit verbundene aktive Teilnahme am Kampf der Bekennenden Kirche gegen die Verfälschung des Evangeliums durch die Deutschen Christen“ heraus.
„Umso erstaunlicher ist es, darüber in den historischen Quellen der Gemeinde nichts Greifbares finden zu können. Allerdings darf man von den Presbyteriumsprotokollen der damaligen Zeit nicht allzu viele Informationen erwarten, da sie der Gestapo kein Material liefern sollten. Doch taucht der Name Heinrich Peithmann noch nicht einmal in den Mitgliedslisten der Bekennenden Kirche im Rheinland auf, obwohl er nach dem Krieg von 1945 bis 1949 sogar der Landessynode angehörte. Aufgrund dieser Quellenlage gibt es denn auch über Heinrich Peithmann in der Festschrift zum 300-jährigen Gemeindejubiläum kaum mehr zu lesen als den sehr schlichten Hinweis, er habe sich um die Jugendarbeit der Gemeinde verdient gemacht.
Des Rätsels Lösung ist so einfach wie verblüffend. Als 1929 Steele nach Essen eingemeindet wurde, ordnete man auch das ursprünglich westfälische Gebiet östlich des Grendbaches (Grend = Grenze) und damit die gesamte evangelische Gemeinde Königssteele politisch dem Rheinland zu. Kirchlich wurde diese Umstellung aber erst etwa 10 Jahre später vollzogen. Folglich gehörte Heinrich Peithmann, als er 1932 in Königssteele zum Pfarrer gewählt wurde, der westfälischen Landeskirche an und blieb, als er sich 1933 der Bekennenden Kirche anschloß, in Westfalen. Und das sollte sich einige Jahre später nur kurzfristig ändern, weil er bereits Ende 1949 wieder in die westfälische Landeskirche zurückkehrte, wo er eine Pfarrstelle in Löhne-Mennighüffen übernahm. Dort war er bis zu seiner durch Krankheit bedingten vorzeitigen Pensionierung im November 1967 im Dienst.
Kein Wunder also, daß diese ungewöhnliche Historie für Verwirrung gesorgt und manches verdunkelt hat. Ohne Anstöße und Berichte von verschiedenen Zeitzeugen wüßte ich nichts zu sagen. … Sie stammen u.a. von den inzwischen pensionierten Pfarrern Eberhard Peithmann, seinem Sohn, und Wilhelm Westermann, zur damaligen Zeit Mitglied im Jungmännerkreis in Königssteele.“
Über den Dienst in seiner Gemeinde und die Leitung des örtlichen Evangelischen Krankenhauses hinaus waren die nach dem Krieg noch in Königssteele verbrachten gut vier Jahre geprägt u.a. von seiner Mitarbeit in der Rheinischen Landessynode und vom Vorsitz des Verbandes der Evangelischen Krankenanstalten im Rheinland.
Einen weiteren Schwerpunkt bildete sein Einsatz als Synodaljugendpfarrer des Kirchenkreises Essen; damit folgte er dem in den 1950er Jahren weit bekannten Jugendevangelisten Pastor Wilhelm Busch, der auch ein führender Vertreter der Bekennenden Kirche gewesen war. In diesem Amt war Heinrich Peithmann verantwortlich für die Durchführung einer Jugendevangelisation im Kirchenkreis Essen. Das Thema dieser Evangelisation ist kennzeichnend für das, was er im Zentrum seiner Theologie und seiner Verkündigung gesehen hat: „Du kommst an Jesus Christus nicht vorbei – er wird dein Heiland oder dein Richter.“
Anders als die Sozialdemokraten in der vom Minden-Ravensberger Pietismus geprägten Heimatregion waren Angehörige linker Gruppierungen im Ruhrgebiet überwiegend atheistisch ausgerichtet und konfessionslos. So berichtete er im Verwandtenkreis von ideologischen Kämpfen etwa mit sozialistischen und kommunistischen Jugendverbänden im Großstadtmilieu jener Jahre. Den christlichen Jugendchören sei es in den Veranstaltungen oft gelungen, die Störtrupps mit anhaltendem Gesang mundtot zu machen. Später in Mennighüffen erlebte er Sozialdemokraten als treue Gottesdienstbesucher und engagierte Mitarbeiter in der Gemeinde.
In den Jahren vor und nach der Währungsreform 1948 waren Heinrichs Geburtsort Südhemmern und Nachbargemeinden oft das Ziel von Jugendfreizeiten mit dem CVJM, Christlicher Verein Junger Menschen. Auf dem elterlichen Hof durften die in der Scheune einquartierten Jugendlichen aus der Großstadt nach der langen Notzeit sich richtig satt essen.
Könnte seine Jugendarbeit treffender dargestellt werden als durch persönliche Eindrücke einer ehemaligen Konfirmandin und Jugendmitarbeiterin? So erzählt Erika Wanda aus Königssteele: “Ich erinnere mich an Freizeiten mit Pastor Peithmann, auch an diese im Jahr 1949 in Bergkirchen (Kreis Minden). Sie begann auf dem Bahnsteig Steele Hbf – heute Steele-Ost -. Einer nach dem anderen trudelte ein. Einer mit einem Beutel Mehl, der andere mit Zucker, wieder andere mit Salz, Nudeln, Fett, kurz mit allem, was an Lebensmitteln zu beschaffen war. Zwei Frauen fuhren mit, die für uns kochten.
Untergebracht waren wir in einer Schule, bei der die Fensteröffnungen mit Pappe abgedichtet waren. Unser Nachtlager bestand aus Stroh, das wir uns bei den umliegenden Bauern erbetteln mussten. Fließendes Wasser gab es in der Schule nicht. Jeder Tag begann mit „Frühsport“ in Richtung Weser, zum Waschen. (Anmerkung: Hier täuscht sich die Autorin über die geografischen Gegebenheiten in Bergkirchen.) Es wurde eine fröhliche Freizeit!
Im Mittelpunkt stand für Pastor Peithmann allerdings die tägliche Bibelarbeit. Einzelne Abschnitte aus dem Neuen Testament wurden erarbeitet und die Erkenntnisse daraus schriftlich festgehalten.
Wir Konfirmanden sahen uns natürlich auch bei den sonntäglichen Gottesdiensten, bei denen wir unser Anwesenheitszettelchen abgeben mussten. Pfuschen nützte nichts, denn es konnte sein, dass wir beim nächsten Konfirmandenunterricht etwas über die Predigt erzählen mussten.
Predigen, das Wort Gottes verkündigen, war Mittelpunkt seines Lebens. Klare Worte und eine deutliche inhaltliche Aufteilung erleichterten uns das Zuhören. Er war schon hartnäckig im Verfolgen bestimmter Ziele. Manchmal stur und unnachgiebig, geradlinig, oft dominant, aber dahinter stand ein starker Glaube. Dies alles, gepaart mit einem tiefsinnigen Humor, war es das, was uns immer wieder begeisterte und zusammengehalten hat?
War es das, was uns immer wieder zum Pfarrhaus Peithmann zog, zu einem Haus der offenen Tür? Wie oft haben wir uns in der „Grotte“ im Pfarrgarten getroffen. Wenn ich hier nicht von Pfarrer, sondern von Pastor Peithmann erzählt habe, so hat das seinen Grund: Er war für uns eben Pastor = Hirte.“
Für die zweite Hälfte seiner Dienstzeit zog es Heinrich Peithmann zurück in seine Heimat Minden-Ravensberg und näher zu seinen und seiner Frau Verwandten. Am 1. Advent 1949 wurde er durch Superintendent Kunst in die Kirchengemeinde Mennighüffen, heute zur Stadt Löhne gehörig, als Nachfolger des westfälischen Präses Wilm eingeführt.
Familien seiner Kinder wohnten teilweise nahebei. Schwiegersohn Eberhard Kölling war von 1957 bis 1969 Pastor im benachbarten Stift Quernheim. Sohn Eberhard übernahm 1969 ein Pfarramt in Löhne.
Auch in seinem neuen Wirkungskreis wurden ihm bald übergemeindliche Aufgaben angetragen. So war er einer der Initiatoren der Finanzgemeinschaft des Kirchenkreises Herford, dessen Finanzausschuss er leitete. Zudem gehörte er dem Finanzausschuss der westfälischen Landessynode an.
18 Jahre lang konnte er seiner neuen Gemeinde als Seelsorger noch dienen, bis er nach einem Herzinfarkt 1967 vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde. 1973 erlag er dann einer Krebserkrankung. „Ruhestand und Krankheit sind ihm nicht leicht gefallen, waren seine Überzeugungskraft und sein Wunsch, das Evangelium weiterzugeben, doch nach wie vor ungebrochen. Das dankbare Presbyterium der Gemeinde Mennighüffen schrieb in einer Traueranzeige, er habe als Seelsorger und Verkünder der frohen Botschaft vom Heiland Jesus Christus segensreich gewirkt.“
Abschließend zeichnet Rainer Winnacker vom Pastor Heinrich Peithmann in Königssteele und Mennighüffen dieses Bild:
„Alle mir bekannten Zeitzeugen schildern Heinrich Peithmann als einen entschiedenen, überzeugenden Pfarrer, der seinen Beruf mit Leib und Seele ausgeübt hat. Obwohl von Natur aus eher scheu, vorsichtig und zurückhaltend, konnte er mutig und unbeugsam werden, wenn es um Glaubensgehorsam und die Wahrheit der Bibel ging. Ein relativ ernster Mann, wenn auch nicht ohne trockenen Humor, der gern mit Menschen zusammen war. Doch fiel ihm auch dies von seiner Persönlichkeit her nicht so leicht, wie es äußerlich den Anschein hatte. Im Alter von 52 Jahren hat er sein erstes Auto gekauft, allerdings ohne selbst den Führerschein zu besitzen. In den Jahren zuvor hatte er nicht geglaubt, sich solch einen „Luxus“ jemals leisten zu können.
Entgegen manchem Hörensagen hat er gern, oft und gut gesungen. Als er älter wurde, fielen ihm die höheren Partien aber zunehmend schwerer. Für das Auto fahren und Singen waren deshalb oft die Vikare zuständig, von denen er viele mit ausgebildet hat. Besonders lagen ihm Gottesdienst und Verkündigung am Herzen, die er aber immer als Gemeindeaufbau gesehen hat, gerade auch in der Jugendarbeit, Kinder und Jugendliche sollten erfahren, was glauben heißt und in diesem Glauben mit der Gemeinde verbunden werden.
Er verstand sich als Lutheraner, der Jesus Christus in das Zentrum seines Denkens und Fühlens stellte. Als er einmal einem seiner Vikare die Kirche in Mennighüffen zeigte, machte er ihn auf das Kreuz an der Treppe der Kanzel aufmerksam und erklärte, das Kreuz Jesu Christi müsse der Mittelpunkt aller Predigt sein und bleiben. Und bei einem Ständchen von etlichen Gemeindegliedern anlässlich seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus meinte er trotz seiner anhaltenden Schmerzen, Christi Erbarmen sei stärker als alle Leiden, die er ja nun zur Genüge erfahren habe. Dann wünschte er sich das Lied „Mir ist Erbarmung widerfahren.“
Quellenangaben
Literatur
Beckmann, J. (1952): Der Kirchenkampf. Kirchengeschichtliche
Quellenhefte 7. Gladbeck.
Beckmann, J., u. H. Prolingheuer (1981): Zur Geschichte der Bekennenden
Kirche im Rheinland. Schriftenreihe des Vereins für Rheinische
Kirchengeschichte 63. Köln.
Fronemann, W. (o.J.): Vom Ravensberger Bauernsohn zum Pfarrer der
Bekennenden Kirche. Borgholzhausen.
Hey, B. (1974): Die Kirchenprovinz Westfalen 1933-1945. Beiträge zur
westfälischen Kirchengeschichte 2. Bielefeld.
Jansen, H., Hrsg. (1997): 300 Jahre Evangelische Kirchengemeinde
Königssteele 1697-1997. Essen.
Niemöller, W. (1952): Bekennende Kirche in Westfalen. Steinhagen.
Norden, G. van, Hrsg. (1985): Zwischen Bekenntnis und Anpassung.
Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 84. Köln.
Wanda, E. (2000): Erinnerung an Heinrich Peithmann (Schluß).
Gemeindebrief der Ev.-luth. Kirchengemeinde Königssteele. Ausgabe Februar 2000
bis April 2000, S. 12.
Winnacker, R. (1999): Erinnerung an Heinrich Peithmann, Gemeindebrief der
Ev.-luth. Kirchengemeinde Königssteele. Ausgabe November 1999 bis Februar
2000, S. 3-5.
Internetquellen
Wikipedia (2009): Bekennende Kirche.
Wikipedia (2009): Barmer Theologische Erklärung.
Wikipedia (2009): Deutsche Evangelische Kirche.
Wikipedia (2009): Karl Barth.
Wikipedia (2009): Karl Heim.
Wikipedia (2009): Reichsbischof.
Zeitungsartikel
Trauer um H. Peithmann.
Westfalen-Blatt Nr. 178 vom 3. August 1973. Bielefeld.
Pfarrer Eberhard Peithmann wird am Pfingstsonntag in den Ruhestand
verabschiedet. Unsere Kirche Nr. 19 vom 16. Mai 1999. Bielefeld.
Auskünfte erteilten
Kölling, Erika geb.Peithmann
Leinhos, Marie-Luise geb. Peithmann
Peithmann, Eberhard, Porta Westfalica
Peithmann, Hermann, Hille-Südhemmern
Die Publikation enthält folgende Fotos:
(Abb. 1)
Heinrich Peithmann, Pastor in Königssteele und Mennighüffen.
(Abb.2)
Feier „Hundert Jahre Peithmann auf dem Hof Nr. 21 in Südhemmern“ am 1. Juli 1964: Das Ehepaar Heinrich Peithmann und Friederike geb. von Behren im Gespräch mit dem Vetter Friedrich Krüger und Frau Irma aus Hille.
(Abb.3)
Pastor Heinrich Peithmann in einem seiner ersten Amtsjahre.
(Abb. 6)
Heinrich Peithmann mit seinen Töchtern Marie Luise und Erika.
(Abb. 9 und Abb. 10)
Fotos auf der rechten Seite: Heinrich Peithmann in der Gemeinde. Oben: Mit Jugendlichen und der Gemeindeschwester in Essen-Steele. Unten: Mit Frauen der Frauenhilfe in Mennighüffen.
(Abb. 4)
Friedenskirche zu Königssteele, Quelle: Ev.-luth.Kirchengemeinde Königssteele.
(Abb. 5)
Das Siegel des sogenannten Reichsbischofs, des höchsten Organs der „Deutschen Christen“ im Dritten Reich, und das Siegel der Bekenntnissynode im Rheinland. Quelle: van Norden 1985.
(Abb. 11)
Der 1930/31 errichtete neue Turm der 1820 erbauten Kirche zu Mennighüffen. Quelle: Ev.-luth. Kirchengemeinde Mennighüffen.
(Abb. 12)
Das Ehepaar Heinrich Peithmann und Friederike geb. von Behren im Jahre 1956.
(Abb. 7 u. Abb. 8)
Handschriftliche Predigtgliederungen aus dem Jahre 1950.
Pastor Heinrich Peithmann hielt seine Predigten frei. Zur Vorbereitung erarbeitete er jeweils eine Gliederung, die er auf einen DIN A6-Zettel notierte und mit auf die Kanzel nahm. In der Regel bestanden die Predigten aus drei Teilen mit griffig formulierten Überschriften.
(Abb.12 alternativ )
Pastor Heinrich Peithmann im Alter von 53 Jahren.
Wilhelm Meier-Peithmann